Das alte Kind
Organspenderausweis nachgesehen. Heimlich. Sie hatte A.«
»Fiona, was ist passiert? Ich versteh nicht, warum du mich morgens in aller Frühe anrufst, um nach unseren Blutgruppen zu fragen. Das kann doch nur heißen, dass du einen Unfall hattest und…«
»Ja. Ich hatte einen Unfall. Sie wollten mir eine Bluttransfusion geben. Sie sagten, es ginge mir dann schneller wieder besser, aber ich konnte selbst entscheiden, ob ich die Transfusion will oder nicht. Ich bin wohl gerade so an der Grenze dessen, was der Körper selbst schaffen kann.«
»Oh, mein Gott. Liebes, wo bist du? Ich komme sofort. Wie geht es dir? Sorgen sie auch richtig für dich?«
»Dad. Ich habe gesagt, ich will keine Transfusion. Und weißt du, warum? Weil sie mir gesagt haben, ich hätte die Blutgruppe B irgendwas. Und ich wusste, dass du A hast. Und Mom auch.«
»Fiona…«
»Sie haben einen Fehler gemacht, oder? Sie haben meine Blutgruppe falsch bestimmt, oder? Sag, dass sie etwas falsch gemacht haben.«
»Sag mir, wo du bist. Ich komme vorbei, und wir klären das.«
Fiona umschloss das Telefon mit ihrer Hand und schlug damit auf die Decke. Zweimal, ein drittes Mal. Dann hielt sie es wieder ans Ohr. »Haben sie einen Fehler gemacht?«
»In welchem Krankenhaus bist du? Royal Infirmary? Ich kann in zehn Minuten da sein. In einer viertel Stunde. Ich sag in der Schule Bescheid, dass ich heute nicht kommen kann. Warte auf mich, klar?«
»Dad…«
»Klar?«
Sie brummte nur.
Als Roger Hayward knappe fünfzehn Minuten später in ihr Zimmer kam, nahm er sie als Erstes wortlos in die Arme. Er streichelte ihr Haar, während sie ihr Gesicht in seiner Schulter vergrub und still weinte. So saßen sie, Fiona wusste nicht, wie lange, bis er sie fragte: »Warum hast du mich nicht angerufen? Was kann denn so schlimm sein, dass du lieber alles hinter dir lässt, als mit mir darüber zu reden?«
Fiona schlang ihre Arme noch fester um ihn, ganz so, als wäre es das letzte Mal. »Ich habe das nicht getan. Jemand hat versucht, mich umzubringen«, sagte sie. »Aber niemand glaubt mir, und du auch nicht.«
Er legte seine Hände vorsichtig an ihre Schultern, hielt sie ein Stück von sich weg und sah sie an. »Jemand wollte dich umbringen? Hast du mit der Polizei gesprochen?«
»Die glauben mir nicht.«
»Wie ist das passiert?«
Sie schluckte neue Tränen runter. »Ich war auf einer Party und hab mich unterhalten, und das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass ich in meiner Badewanne liege und blute.« Fiona hielt ihre bandagierten Unterarme hoch. »Ich war das nicht. Ehrlich nicht. Mir geht es gut, ich habe gar keinen Grund, mich umzubringen.«
»Fiona…«
»Nein, warte, lass mich ausreden«, fuhr sie ihn an. »Auf dem Wannenrand standen Teelichte. Wir haben hunderte von denen im Bad, aber sie gehören Mòrag, nicht mir. Im Wasser schwammen Rosenblätter. Und es lief ganz komische Schnulzenmusik im Radio. Irgendein Sender, den ich nie höre. Teelichte, Rosenblätter, romantische Musik – sag selbst: Bin ich das?«
Roger Hayward schüttelte den Kopf. »Aber wenn du dich nicht mehr erinnern kannst, wie es dazu gekommen ist…«
»Nichts passt zusammen!«, rief sie. »Ich dreh noch durch, wenn ich mich nicht bald an irgendwas erinnere. Ich meine, man vergisst doch nicht einfach, dass man sich in die Badewanne setzt, Kerzen anzündet und sich die Pulsadern aufschneidet. Das kann man nicht vergessen! Ich muss die ganze Zeit ausgeknockt gewesen sein. Oder?« Sie sah ihn hilflos an.
»Hat dir jemand was in den Drink gekippt? Vielleicht hast du davon Depressionen bekommen…Man hört doch immer wieder, dass manche Drogen ganz plötzlich depressiv machen. Die Leute bekommen Selbstmordgedanken und können sich dem gar nicht mehr entziehen…«
»Verdammt noch mal, warum kapierst du es nicht: Ich wollte mich nicht umbringen!« Trotzig wandte sie ihr Gesicht ab.
»Haben sie dein Blut untersucht? Waren da Rückstände von… wie heißt das Zeug…Liquid Ecstasy?«
»GHB? Nein. Nur…Dad, meine Blutgruppe…Was hat das zu bedeuten?«
Er strich ihr mit einer scheuen Geste über das Haar, dann stand er auf. »Wollen wir nicht erst überlegen, was mit dir passiert sein könnte? Das hat doch nun wirklich Priorität!« Die Hände steckten in den Hosentaschen, als er im Krankenzimmer auf und ab schritt. Dad, dachte Fiona, sein ganzes Leben hatte er in der Schule verbracht. Vom Schüler zum Studenten zum Lehrer, und heute war er Leiter einer altehrwürdigen
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