Das alte Kind
Nachbarschaft und sonst wo herumzulaufen und Leute zu befragen, ob sie sich sicher seien, dass Fliss auch wirklich ihre Tochter war. Fliss, so nannten sie sie alle, weil Carla nicht wollte, dass man Felicitas zu ihr sagte. Vielleicht würde diese Frau Carla dazu bringen, nicht mehr im Krankenhaus Sturm zu laufen, weil sie ihre »echte« Tochter zurückhaben wollte. Vielleicht, ja, brachte sie wieder ein normales Leben zurück. Das wäre natürlich wunderbar.
Zwei Wochen später traf er zufällig seinen Freund Peter auf dem Wiener Flughafen. Peter hatte nur einen Tag nach der Geburtstagsfeier seine Frau von Ella fotografieren lassen, und es waren ganz außergewöhnliche Fotos geworden. Nicht für die Öffentlichkeit, sagte Peter, versprach aber, sie Frederik bei nächster Gelegenheit zu zeigen und nannte Ella ein Genie. Ich habe mich neu in meine Frau verliebt, sagte er sogar. Und dann wurde sein Blick ernst, auch ein wenig verlegen, und er fragte Frederik, wie er denn klarkäme mit allem.
Natürlich dachte er im ersten Moment, Ella hätte mit Miriam über Carlas Probleme gesprochen. Frederik war mittlerweile nämlich davon überzeugt, dass Ella nur bei dem Geburtstag dabei gewesen war, um die Aufmerksamkeit der Gäste von Carla abzulenken. Um Carla Freiraum zu schaffen. Und dies war nur möglich gewesen, weil Carla sie eingeweiht hatte. Als Peter aber weiterredete, stellte sich heraus, dass Ella durchaus diskret gewesen war. Nur Miriam nicht. Sie hatte in den herumliegenden Fotos gestöbert, als sie eine Weile allein in Ellas Studio war, und Nahaufnahmen von Felicitas gesehen. Oder Vergrößerungen, Miriam wusste es nicht. Aber eins wusste sie, die sie sich selbst immer Kinder gewünscht hatte, aber keine bekommen konnte: Mit Felicitas stimmte etwas nicht. So sah kein gesundes einjähriges Kind aus. Warum es diese Großaufnahmen gab, konnten sich weder Peter noch Frederik erklären.
Frederik ließ seine Deckung fallen. Er war froh, endlich mit jemandem offen sprechen zu können. Ja, die Kleine schien gesundheitlich angeschlagen zu sein. Carla, gestand er seinem Freund, hatte Probleme, das Kind richtig anzunehmen, eine Wochenbettdepression, die sich hinzog, sagten die Ärzte, und vielleicht spürte das Kind, dass die Mutter es nicht wollte, kleine Kinder spürten ja vielleicht mehr, als man so dachte, nicht wahr? Peter schwieg einen Moment, nickte dann kurz und klopfte Frederik auf die Schulter. Zeit, sagte Peter. Bestimmt braucht alles nur Zeit. Und Frederik nickte auch kurz. Zeit, das war es, Zeit löste die meisten Probleme.
Als er im Flieger von Wien nach Paris saß, hatte er wieder blendende Laune und gab einem Herrn in der Business-Class, der ihn erkannt hatte, ein Autogramm.
3.
»Du musst mir helfen«, bat Fiona ihn, und er schüttelte unwillig den Kopf. Sie hatte sich die Decke bis zum Hals gezogen.
»Bestimmt erinnerst du dich ganz bald von selbst wieder«, wich Ben vage aus.
»Ich weiß auch so, dass ich das nicht war«, zischte sie ihn an.
»Warum hast du denen gesagt, du hättest keine Angehörigen?«
Sie antwortete nicht.
»Habt ihr euch schon wieder gestritten?«
Sie drehte den Kopf zur Seite, um ihn nicht ansehen zu müssen.
»Ging es um Geld?«
Die Bewegung unter der Decke konnte als Schulterzucken interpretiert werden. Okay, Geld. Fiona war über dreißig, ließ sich aber immer noch von ihrem Vater unterstützen, obwohl sie einen Job in einer Galerie hatte. Allerdings als Assistentin des Galeristen, entsprechend niedrig war ihr Verdienst, und sie fühlte sich für den Job überqualifiziert. Ihr Vater überwies ihr monatlich eine nicht geringe Summe, die ihre Unzufriedenheit ausgleichen und die Zeit überbrücken sollte, bis sie eine angemessene Stelle gefunden hatte. Im Schnitt gab es alle zwei Monate ein fürchterliches Gewitter zwischen den beiden, weil ihr Vater drohte, die Zahlungen einzustellen, wenn sie ihm nicht wenigstens ihre Bemühungen um einen neuen, besser bezahlten Job vorwies. Sie behauptete, sich durchaus zu bemühen, was nicht stimmte, jedenfalls nicht so, wie ihr Vater erwartete.
»Soll ich ihm sagen, dass du hier bist?«
Sie schüttelte den Kopf und zog die Decke noch ein Stück höher. Ihr Gesicht verschwand fast vollständig darunter.
»Fiona, gib mir dein Handy, ich ruf ihn an.«
»Ich will ihn nicht sehen«, nuschelte sie.
»Egal, wie sehr ihr euch gestritten habt. Er wird sicher wissen wollen, wie es dir geht.«
»Klar. Vor allem, wenn ihm alle
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