Das alte Königreich 01 - Sabriel
mochte ihm zugestoßen sein, das ihn im Tod festhielt? Und was erhoffte sie sich dagegen tun zu können, falls sie tatsächlich ins Alte Königreich gelangte?
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Ancelstierre verlief die Grenze in einem Abstand von etwa einer halben Meile parallel zur Mauer und von Küste zu Küste. Stacheldraht wand sich um hohe rostende Stahlpfosten und markierte die vorderste Verteidigungslinie eines Netzes aus Schützengräben und Kommandoständen aus Beton. Viele waren so eingerichtet, dass sie sowohl das Gelände vor wie hinter sich überwachen konnten. Dichter Drahtverhau erstreckte sich hinter den Gräben, um auch aus dieser Richtung vor unliebsamen Überraschungen gefeit zu sein.
Tatsächlich hatte der Grenzschutz mehr Erfolg damit, den Bürgern von Ancelstierre den Zutritt zum Alten Königreich zu verwehren, als irgendetwas von dort Kommendes aufzuhalten. Alles, was auch nur annähernd fähig war, über die Mauer zu steigen oder sie zu durchbrechen, verfügte über ausreichend Magie, um die Gestalt eines Soldaten anzunehmen, sich unsichtbar zu machen oder sich einfach dorthin zu begeben, wohin es wollte – trotz Stacheldraht, Kugeln, Handgranaten und Mörsergeschossen. Dies galt vor allem, wenn der Wind aus dem Norden wehte, aus dem Alten Königreich.
Der unzuverlässigen Technik wegen trugen die ancelstierrischen Grenzwachen Kettenhemden über ihren khakifarbenen Kampfanzügen; außerdem verfügten ihre Helme über Nasen- und Nackenschutz. Ihre Bewaffnung bestand lediglich aus altmodischen Säbelbajonetten, die in abgegriffenen Scheiden steckten. Über den Rücken hatten sie Schilde geschlungen, oder wie es in der Dienstvorschrift der Armee hieß: »Rundschild, klein, nur für Grenzpersonal«. Die Khakifarbe der Kampfanzüge war unter den darüber gemalten auffälligen Regimentsabzeichen oder persönlichen Symbolen kaum noch zu sehen. Tarnung wurde auf diesem Posten nicht groß geschrieben.
Während Sabriel darauf wartete, dass die Touristen aus der Tür kamen, beobachtete sie, wie ein Trupp junger Soldaten am Bus vorbeimarschierte. Sie fragte sich, was diese nicht gerade kampferprobt aussehenden Krieger von ihren seltsamen Pflichten hielten. Die meisten von ihnen waren vermutlich Wehrpflichtige aus dem Süden, wo sich keine Magie über eine Mauer stahl und die Wirklichkeit in ihr Gegenteil verkehrte. Hier konnte Sabriel spüren, wie Zauber sich gleich einem Gewitter zusammenbraute, das in der Luft lag. Die Mauer selbst sah hinter der Öde aus Stacheldraht und Schützengräben ziemlich normal aus, nicht viel anders als irgendein mittelalterliches Bollwerk. Die Mauer war alt, aus Stein, etwa vierzig Fuß hoch und mit Zinnen versehen. Nichts Bemerkenswertes – bis einem klar wurde, wie erstaunlich gut erhalten sie trotz ihres Alters war. Wer die besondere Gabe besaß, konnte auf ihren Steinen majestätische Charterzeichen sehen – Zeichen, die in ständiger Bewegung waren, sich drehten und wanden, dahinglitten und sich unter der steinernen Oberfläche immer wieder aufs Neue formten.
Die endgültige Bestätigung der Fremdartigkeit jedoch lag jenseits der Mauer. Auf der ancelstierrischen Seite war es klar und kühl und die Sonne schien; auf der anderen Seite jedoch schneite es und schwere Schneewolken reichten bis zur Mauer.
Sabriel beobachtete das Schneetreiben und war dankbar für ihren Almanach. Der Maschinendruck hatte Unebenheiten im dicken Leinenpapier hinterlassen, und so schienen die vielen handgeschriebenen Anmerkungen zwischen den Zeilen zu tanzen. Eine dieser Anmerkungen – in sehr dünner Schrift, bestimmt nicht die ihres Vaters – beschrieb unter den Kalendern für jedes Land das zu erwartende Wetter. Unter »Ancelstierre« stand: »Herbst. Wahrscheinlich kühl.« Unter »Altes Königreich« war vermerkt: »Winter. Vermutlich Schneefall. Skier oder Schneeschuhe empfohlen.«
Der letzte Tourist ging und konnte es offenbar kaum erwarten, den Beobachtungsturm zu erreichen. Obwohl die Armee und die Regierung den Touristen davon abrieten, hierher zu kommen, und wenngleich es innerhalb von zwanzig Meilen Umkreis keine Hotels oder Gaststätten gab, ließen sie täglich eine Busladung zu; die Reisenden durften die Mauer dann von einem Turm diesseits der Grenzlinien betrachten. Doch selbst dieses Zugeständnis nutzte häufig nichts, denn wenn der Wind aus dem Norden pfiff, machte der Bus ein paar Meilen vor dem Turm unerklärlicherweise schlapp, so dass die Touristen helfen mussten, ihn nach Bain
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