Das Amerikanische Hospital
gegangen tagsüber. Es ist ja alles der riesige Wald von Fontainebleau, in dem einst die Könige gejagt haben.
Sie mögen sie gerne, die französische Provinz, nicht wahr?, fragte der Amerikaner.
Ja, sagte Hélène und überlegte. Vielleicht ist es zur Hälfte Nostalgie und zur anderen Hälfte Eskapismus. Stadtflucht. Paris ist immer schwerer auszuhalten.
Das hört man oft, sagte der Amerikaner. Für unsereinen ein ganz unvorstellbarer Gedanke.
Auf einen kurzen Nenner gebracht, ist es der rasende Kapitalismus, der die Stadt kaputtmacht - und die Menschen, die hier leben.
Sie sind nicht nur Antimilitaristin, Sie sind auch Sozialistin, sagte der Amerikaner und zwinkerte.
Ja, das bin ich tatsächlich, antwortete Hélène.
Wenn ich nicht - früher wäre das eine paradiesische Vorstellung für mich gewesen, durch diesen Wald von Fontainebleau zu streifen mit einem Fernglas, einem Notizbuch und vielleicht einem Aufnahmegerät für die Stimmen. Jetzt bekomme ich allein bei dem Gedanken daran feuchte Hände. Wie, sagten Sie, hieß das Hotel mit dem Wehr und dem Papagei?
Vanne Rouge. Auberge de la Vanne Rouge. In Montigny am Loing. Sisley hat übrigens auch Ruderer gemalt. Es gibt ein schönes Bild von ihm: Ruderer auf der Seine bei Saint-Mammès, sagte Hélène.
Ich werde mich mit Paroxetin vollstopfen und meinen Fahrer bitten, nach Moret und Montigny zu fahren.
Sein Blick verlor sich im Grün des Gartens. Er schien die Gesprächspause, die eingetreten war, nicht zu bemerken.
Schließlich fragte Hélène, den grünen brüchigen Lack der Bank fixierend: Möchten Sie - können Sie über den Krieg sprechen?
D iesmal ging es schneller als das erste Mal. Schneller und brutaler, aber vielleicht auch gnädiger, denn die Zeit des Hoffens und Bangens dauerte nur gerade zwei Wochen.
Wieder funktionierte zu Anfang alles wie aus dem Lehrbuch. Le Goff hatte mit Zustimmung Hélènes und ihres Mannes die Dosierung etwas erhöht, sodass er fünf Eizellen entnehmen konnte, von denen vier befruchtet und zwei eingesetzt, die verbliebenen eingefroren wurden. Wieder teilten sich die befruchteten Zellen und wurden zunächst zu Vier-, dann zu Achtzellern, dann zu sechzehnzelligen Zellklumpen. Auch der erste Test aus dem Blut war positiv.
In einer Nacht zwei Wochen nach dem Transfer wachte Hélène dann mit stechenden Unterleibsschmerzen auf und wusste sofort, woran sie war. Unnötig, ihren Mann zu wecken, der tief schlief und ohnehin nichts hätte tun können. Sie spürte den Druck, es war wie eine Kolik, wie Durchfall, sie hatte eben noch Zeit, sich das Nachthemd bis unter die Brüste hochzuziehen und sich auf die Klobrille zu setzen, dann kam es in einem platschenden, klatschenden, warmen und heftig riechenden Schwall. Sie schaltete das Licht an und wagte, einen Blick auf das blutbespritzte und verschmierte Toilettenbecken zu werfen. Das Wasser im Abfluss war hellrot, es gab dunkelrote
schlierige Klümpchen. Als sie das Wort Gewebe dachte, musste sie sich übergeben und zog zugleich Wasser, weil sie den Geruch, die Nase so nah über dem Becken, nicht ertrug. Sie schloss die Augen.
Danach wischte sie mit einem feuchten Schwamm die Spritzer auf und mit der Bürste das Klo sauber. Sie merkte, dass durch den Blutverlust ihr Blutdruck abfiel und ihre Beine schwach wurden, und ließ sich auf die Brille nieder. Eine der beiden Katzen war wach geworden, strich schnurrend und buckelnd um sie und wickelte ihren Schwanz um ihr nacktes Bein, ein sanfter, aber kräftiger Druck. Obwohl sie mehrmals abgezogen hatte, war ihr Mann nicht aufgewacht. Sie hörte sein leises Schnarchen aus dem Schlafzimmer.
Es war so heiß, dass alle Fenster und Türen offenstanden, um ein wenig Luftzug zu schaffen. Aber es gab keine Luft. Durchs offene Fenster des Schlafzimmers, das auf einen kleinen Innenhof ging, drang gedämpfte Rai-Musik, die ein Schlafloser hörte. Vom Wohnzimmerfenster kamen in regelmäßigen Abständen die Motorengeräusche an der Ampel anfahrender Autos. Sie konnte duschen, ohne Angst haben zu müssen, ihren Mann zu wecken. Sie hielt sich mit einer Hand fest, während das Wasser über sie perlte, schloss die Augen, sah den Inhalt der Toilette vor sich, und die Worte a bloody mess kamen ihr in den Sinn, die der Amerikaner in einem anderen Zusammenhang benutzt hatte. Sie sagte sich immer wieder, lautlos und wie ein Mantra: Das war ein Zellklumpen, kein Baby, ein Zellklumpen, kein Baby.
Danach setzte sie sich ans offene Fenster des
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