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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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mit der Hand durchs Haar und umfasste mit der anderen die Lehne der Bank. Hélène wusste nicht, was sie sagen sollte.
    Es ist diese Agoraphobie oder Angststörung, die Dr. Mehran diagnostiziert hat und gegen die ich Medikamente bekomme. Ich bin so weit, dass ich hier am liebsten gar nicht mehr rauswollte. Die hohen Mauern, die Apparate, die weißen Kittel, das ist meine sichere Welt. Ich bin wieder wie ein Kleinkind im Haus der Eltern - oder wie ein Irrer, der sich in seiner Anstalt zu Hause fühlt … Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen mit alldem auf die Nerven falle, glauben Sie mir, ich falle mir selbst auf die Nerven. Manchmal …
    Ja?, fragte Hélène, als er nicht weitersprach.
    Nein, nichts. Der Amerikaner winkte ab und entschloss sich dann dazu, sie um eine Zigarette zu bitten. Sie legte die Packung zwischen sie auf die Bank, und in der folgenden halben Stunde, die sie noch beisammenblieben, rauchte er fünf Stück, ohne es zu bemerken. Hélène war zu taktvoll, ihn darauf hinzuweisen.

    Und wenn Sie Auto fahren?, fragte sie schließlich.
    Er lächelte matt. Eine öffentliche Gefahr. Manchmal bekomme ich einen Fahrer für irgendeine Mission und lasse ihn ein paar Umwege fahren. Das ist alles, was ich bislang von Paris gesehen habe. Fahren Sie doch bitte die Champs-Elysées runter. Fahren Sie doch bitte die Rue de Rivoli entlang …
    Wenn Sie wieder einmal so eine Fahrt in Begleitung haben, dann fahren Sie nach Moret. Moret-sur-Loing. Das ist nicht weit von Fontainebleau.
    Und was ist da?
    Hélène lächelte und dachte: Erinnerungen. Die hatten sich ganz von alleine eingestellt, aus innerer Notwendigkeit heraus, der Traurigkeit etwas entgegenzusetzen, die aus der Stimme mehr noch als aus den Worten des Amerikaners sprach.
    Aber dann sagte sie: Schönheit. Sisley. Die Seine da, wo sie am lieblichsten ist. Balsam für die Seele. Sie kennen doch Sisley, den Impressionisten? Alfred Sisley? Einen großen Teil seines Werks hat er dort gemalt, und dort liegt er auch begraben. Es ist ein stilles, kleines Dorf, das sich seither kaum verändert hat. La douce France.
    Sisley, sagte der Amerikaner. Helfen Sie mir auf die Sprünge. Gibt es ein besonders bekanntes Bild von ihm?
    Sie schüttelte den Kopf. Nicht so wie bei seinen Freunden Monet und Renoir. Er ist der lyrischste unter ihnen. Und hat fast nur Landschaften gemalt. Und ist auch gestorben, bevor er bekannt wurde.
    Gibt es dort ein Museum?, fragte der Amerikaner.
    Hélène lachte. Nein, das nun wirklich nicht. Aber die Kirche ist noch so, wie er sie gemalt hat, ockerfarben
auf der Sonnenseite und lila im Schatten und mit einer Alm aus roten Fischschuppen als Dach. Das Ganze so bröselig wie eine Sandburg, auf der die Sonne zu lange gestanden hat. Und auch der Fluss ist noch derselbe wie zu seiner Zeit …
    Sie lächelte bei dem Bild vor ihrem inneren Auge.
    Erzählen Sie weiter, bat der Amerikaner. Selbst wenn ich mich nicht dorthin traue, habe ich das Gefühl, ich könnte es sehen.
    Ja, man kann unten am Loing entlanggehen, durch die Feuchtwiesen. Gegenüber hört man noch immer die Eisenbahn, wie auf seinen Bildern. Man kann bis Saint-Mammès gehen, wo der Loing in die Seine mündet. Manchmal ist er himmelblau, manchmal flaschengrün, und unter der Brücke, die Sisley auch gemalt hat, mit den kräftigen Pfeilern, stehen die Angler.
    Stellte man sich dazu, dann schnappte die Zeit nach dem Köder und blieb am Haken hängen …
    Waren Sie oft dort? Ist es ein wichtiger Ort für Sie?, fragte der Amerikaner.
    Ja, ein paar Jahre lang jedes Frühjahr. Aber nicht in Moret selbst. Ein paar Kilometer flussaufwärts. In Montigny. Mein Mann hat sich in die Gegend verliebt, und wir beide haben uns in ein kleines Hotel dort verliebt …
    Er wartete, dass sie weitersprach.
    Die Auberge de la Vanne Rouge. Direkt am Wehr, sodass man vom Zimmer aus die ganze Nacht das Wasser rauschen hört. Und an der Rezeption sitzt ein großer Papagei, ein grau-roter Ara, und scherzt mit dem Patron. Ja, da waren wir immer Anfang März.

    Am Abend lief im Fernseher die Zeremonie der Césars, und sie hatte feuchte Augen bekommen, als Bernard Blier quälend langsam auf die Bühne tappte, um seinen Ehrenpreis entgegenzunehmen, nur mehr ein Schatten seiner selbst, das runde volle Gesicht dünn und abgezehrt, und nur die Schauspielerdisziplin eines halben Jahrhunderts machte, dass er es von den Kulissen bis zur Rampe schaffte und in die stehende Ovation hinabblinzelte.
    Wir sind im Wald spazieren

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