Das Amerikanische Hospital
gerefften Schwingen, und die roten dünnen Beine leicht nach vorn gestreckt wie ein ausgefahrenes Fahrgestell. Fast alle zur gleichen Zeit. Zwischen dem Moment, als der erste wasserte, und dem, als der letzte aufkam, vergingen keine drei Sekunden. Aber schon als der erste die Oberfläche des Sees erreichte, konnte man sehen, dass etwas nicht stimmte. Aber da war es bereits zu spät. Eigentlich hätte es eine Gischtwolke geben müssen, tausend in der Sonne funkelnde Tröpfchen. Aber als der Körper aufkam, ging
da nur eine schwarze, teerige Welle hoch, die die Vögel bespritzte, und sie wurden ruckartig gebremst, als seien sie in schlierigen Klebstoff getaucht. Es war kein See. Es war ein Ölteich. Quadratkilometergroß. Wir hätten es wissen können. Die flüchtenden Iraker öffneten überall die Ölquellen. Aber es war der erste, den wir sahen. Und er sah von Weitem im Licht aus wie ein See. Vielleicht war es wishful thinking nach so vielen Tagen in der Wüste, einen See sehen zu wollen. Und die Ibisse hatten sich auch täuschen lassen …
Cote unterbrach sich und starrte geradeaus. Hélène zündete sich eine Zigarette an und blickte ihn im Profil an. Unter der rechten Wange zuckte ein Nerv. Er streifte sich die Handflächen an den Hosenbeinen ab.
Es war nicht mitanzusehen. Wir saßen gebannt da und starrten trotzdem hinüber. Natürlich versuchten die Ibisse sofort wieder hochzufliegen. Aber das ging nicht. Die Schwungfedern waren schon verklebt. Der Bauch war verklebt. Sie kamen in der verdammten Dreckbrühe nicht vorwärts. Sie waren viel zu weit vom Ufer. Dann begannen sie die Hälse zu drehen und versuchten sich das Gefieder zu putzen. Und nun hatten sie das Öl auch am Schnabel, am Kopf. Da gerieten sie in Panik und schlugen mit ihren großen Flügeln auf das Öl. Wir konnten es hören. Und bespritzten sich nur noch mehr damit. Es war ja kein veröltes Wasser. Es war reines Rohöl. Sie trieben im Kreis auf dem Ölteppich. Dann konnten wir sie hören. Ibisse geben normalerweise keine Geräusche von sich. Aber jetzt reckten sie die Hälse weit nach oben und die gebogenen Schnäbel zum Himmel empor wie Versinkende und krächzten. Sie begannen langsam zu
ersticken. Es ging entsetzlich schnell, bis das Gefieder so verklebt war, dass die Haut nicht mehr atmen konnte. Ich saß oben auf meinem Bradley und sah zu, in die Sonne hinein, wie die sieben Ibisse die Hälse reckten und die Schnäbel nach oben hielten, und wie die Schnäbel sich öffneten, als bettelten sie die Sonne an. Um uns herum nur Wüste und irgendwo am Horizont Hochspannungsleitungen und Rauchwolken und unter uns die sterbenden Vögel in dem Ölteich. Je schwächer sie wurden, desto höher reckten sie die Hälse und desto weiter öffneten sich die Schnäbel. Dann kam über Funk unser Abmarschbefehl. Wir mussten nach Süden zum Flugfeld von Jalibah. Ich habe zweien meiner Männer befohlen, sie abzuschießen. Wir sind die hundert Meter zu Fuß runter, und die Männer haben sich an den Rand des Ölteichs gestellt und die armen Biester erschossen.
Hélène saß am offenen Fenster und erinnerte sich an Cotes Erzählung von den Vögeln und an sein langes Schweigen danach und wie er sich schließlich erhoben und gesagt hatte, er müsse zu seinem Analysetermin bei Dr. Mehran, und dann dachte sie an den Tonfall, in dem er bloody mess gesagt hatte.
Es wurde langsam Tag, die Autos, die an der Ampel warteten, hatten bereits zum großen Teil die Scheinwerfer ausgeschaltet. Die Rinnsteine wurden geflutet, und ein grauhaariger Schwarzer in der grünen Kluft der Stadtreinigung platzierte seine dämmenden Stoffetzen hinter dem Gullydeckel, aus dem das Wasser quoll, und folgte dann mit langsamen Besenstrichen dem Wasserlauf den Bordstein entlang, unter ihrem Fenster vorbei hinauf in Richtung Rue de Charonne. Sie fühlte sich
ebenso hohl und leer wie der Morgen und entschloss sich dann Kaffee aufzusetzen.
Während der Kessel auf der Gasflamme stand, schlüpfte sie mit bloßen Füßen in die marokkanischen bestickten Mules mit den Schnabelspitzen, die ihr als Hausschuhe dienten, und ging die Treppe hinunter, aus der Haustür und nebenan in die duftende Höhle der Bäckerei, um Croissants zu kaufen. Als sie wieder oben war und der Kaffee fertig, schlief ihr Mann noch immer.
Nach diesem erneuten Fehlschlag änderte sich einiges. Hélènes Mann buchte noch für die letzten Oktobertage eine Reise nach Prag. Er hatte eine Ferienwohnung in einem Viertel gemietet, das vom
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