Das Amerikanische Hospital
stand sie mittlerweile so fatalistisch gegenüber, wie sich ihre Großeltern in die nicht enden wollende graue Zeit der deutschen Besatzung ihrer Stadt und ihres Landes geschickt hatten.
Am Anfang hatte Hélène das Gefühl gehabt, ihrem Körper nur mit Hilfe verschiedener Stimulanzien über ein Hindernis hinweghelfen zu müssen wie einem scheuen Pferd, um den gemeinsamen Wunsch zu verwirklichen,
den sie, wann immer sie wollte oder musste, in intensiven Bildern heraufbeschwören konnte: ein Baby auf ihrem Arm und die stolzen, sanften, glücklichen Augen ihres Mannes. Oder: Ihr Mann, der den Kinderwagen über die Wege der Buttes-Chaumont schiebt, sie eingehängt bei ihm, das Knirschen der Räder auf dem Kies, das Vogelgezwitscher in den Bäumen, die winzigen, runzligen Finger des Säuglings an den Rasselkugeln, die quer über den Wagen gespannt sind.
Sie hatte immer mit gelassener Selbstverständlichkeit im Rhythmus des Zyklus gelebt, des Kreises, des an- und abschwellenden Mondes und seiner Entsprechungen in ihrem Bauch, in ihren Brüsten. Es gab die schmerzhaften, zur Depression neigenden Tage vor der Menstruation, es gab die enthusiastische Phase, die darauf folgte. Im Rahmen der IVF war dieser Kreislauf, den sie in seinen angenehmen wie unangenehmen Momenten nie infrage gestellt hatte, zum ersten Mal von außen beeinflusst und verändert worden. Zu Anfang in Gleichklang und Harmonie mit ihrem Gefühl von sich selbst. Ob es bei ihrem ersten Versuch, der so weit gedieh, die Schwangerschaft oder das Gonadotropin gewesen war, das ihre Brüste wachsen und anschwellen und arbeiten und ziehen ließ - sie hatte sich sogar einen Push-up-BH angezogen, um den Effekt zu verstärken, und genoss den begehrlichen Blick ihres Mannes -, hatte keine Bedeutung gehabt.
Irgendwann war es ihr entglitten, und der Eindruck stellte sich ein, nicht mehr Herrin ihres Körpers zu sein, einen Rhythmus aufgezwungen zu bekommen, Spielball willkürlich in sie eindringender Stimmungen, Gefühle, Hormone und körperlicher Reaktionen zu sein - einen
Kampf gegen sich selbst zu führen oder, besser gesagt, der hilflose Zeuge zu sein, wie Dr. Le Goff seinen Kampf gegen ihren sterilen und widerstrebenden und störrischen Leib führte.
Die Pergamentisierung ihrer Schleimhäute während der Endometriose-Behandlung, die trockene Haut, die leeren Brüste, die Hitzewallungen, die Schlaflosigkeit, die Kopfschmerzen und die plötzlichen Angstzustände, all das auch in geringerem Maße bei jeder Down-Regulierung - dieses Gefühl, wie in einem Horrorfilm im Zeitraffer zur alten Frau zu vertrocknen, oder die in ihrem Bauch fühlbar anschwellenden, drückenden, wachsenden Eierstöcke bei der Stimulation, die keinem normalen Erleben und Fühlen entsprachen, sondern zu wuchern schienen wie Geschwülste, all die Kniffe und Krankheiten und Funktionsstörungen, die sich ihr Körper auszudenken schien, um sich zu wehren gegen ihre tiefsten Wünsche und Hoffnungen und gegen seine Bestimmung. Dass ihre Eileiter verklebt waren, dass sie eine Endometriose hatte, dass sie an Hyperandrogenämie litt, was Le Goff gleich zu Anfang diagnostiziert hatte, einem leicht erhöhten Androgenspiegel, der, wie der Arzt sagte, Grund für die sehr unregelmäßigen und häufig schmerzhaften Monatsblutungen sei, mit denen sie seit ihrem vierzehnten Lebensjahr gelernt hatte zu leben, und gegen die er ihr im Vorfeld der Stimulationsphase jeweils zwei Monate lang die Pille verschrieb, deren Wirkung er durch Gaben von Prednisolon zu verstärken hoffte - und das, was sie in diesem Kampf, der gegen ihren und in ihrem Körper geführt wurde, als Stecken und Stab mit sich trug: jene Bilder, ihr Mann, das Baby, sie, ein Kinderwagen,
ein Park, friedvolle Erfüllung in den Augen, diese Bilder beschlugen und verblassten und wurden stockfleckiger mit jedem Versuch und jedem Jahr wie alte Spiegel, in denen man kaum mehr etwas wahrnimmt.
Das Taxi hatte sie an der Rue Caulaincourt abgesetzt, und sie stiegen die Avenue Junot aufwärts, bogen um die Ecke und erreichten an der Place Dalida Hélènes Ziel, die kleine, grüne, überwachsene, aquariumsdüstere und nur für Fußgänger begehbare Allée des Brouillards. In violetten Kaskaden fielen Glyzinien über die moosigen Treppenstufen, und sie mussten sie zur Seite streifen, um den Durchgang zu finden. Hohe Mauern links und rechts, flechtenübersät, gelb und grün schimmernd wie Reliefseekarten, strahlten die Wärme ab und formten zusammen mit den
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