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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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verstärkt vorkommen und die Unruhe und das Angsterleben größer würden, worauf der Körper wiederum mit Schlaflosigkeit, Albträumen und Übelkeit reagiere. Überhaupt war jetzt in völliger Offenheit und ohne Zurückhaltung von einer PTBS, einer posttraumatischen Belastungsstörung, die Rede, es war erfrischend, dass der Arzt sie sowohl beim Namen nannte als auch wie eine klassische Krankheit behandelte, gegen die Kräutlein gewachsen waren, und nicht wie eine Bewusstseinsstörung, etwas Peinliches, zu Verheimlichendes, Abseitiges. Er setzte für die medikamentöse Behandlung ein Jahr an, der entscheidende Teil der Therapie war aber, was Woods
im Ärztejargon die CBT nannte, die kognitive Verhaltenstherapie, mit der er, wie er sagte, den Teufelskreis der Angst durchbrechen wolle, und das entspannte und offene Ansprechen der Probleme gehörte bereits in den Umkreis der Behandlung. Von Dr. Mehran und seiner Psychoanalyse war nicht mehr die Rede.
    Nun sind wir wieder am Anfang, sagte der Amerikaner zu ihr und blickte aus dem Fenster des mittlerweile vertrauten, wohnzimmerhaften Sprechzimmers hinaus auf die von Wohnhäusern begrenzte karge Vorfrühlingsnatur. Ganz am Anfang und müssen uns wieder hinaufarbeiten. Wie war Ihr Jahr?
    Nicht ganz leicht, sagte Hélène. Und Ihres?
    Auch nicht ganz leicht. Ich hab Ihnen verschwiegen, dass ich, kaum wieder hier angekommen, eine Dummheit gemacht habe.
    Eine Dummheit?
    Ja. Aus Verzweiflung. Aus Müdigkeit. Aus Scham. Und aus Feigheit hab ich es nicht richtig gemacht …
    Sie wollen sagen -.
    Ich will sagen, dass ich es, wie Hemingway einmal geschrieben hat, besser mit der heimatlichen Tradition von Colt oder Smith Wesson hätte versuchen sollen, jenen gediegenen Werkzeugen, die Schlaflosigkeit kurieren, Schuldgefühle beenden, Krebs heilen und den Bankrott vermeiden helfen .
    Sie sind zynisch, sagte Hélène bedrückt.
    Ich bin vor allem darüber hinaus. Ich bin glücklich, dass wir uns sehen, auch wenn alles wieder am Nullpunkt steht.
    Ach, wissen Sie, sagte Hélène, ich habe oft nachgedacht über all diese Erlebnisse im Krieg, von denen Sie
mir erzählt haben. Ein jedes davon reicht aus, um einen zu traumatisieren, um einen für den Rest des Lebens zu verfolgen und nicht mehr wegzugehen. Wahrscheinlich muss man wirklich Soldat sein, um deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben. Sie hielt einen Moment inne und sagte dann: Manchmal glaube ich, dass eigentlich jeder Mensch, der es lange genug aushält, die Augen zu öffnen, von dem, was er sieht, traumatisiert werden müsste. Unsere einzige Rettung ist, dass wir die Augen eben nicht zu lange aufhalten.
    Und so etwas sagen Sie, die das Leben liebt!
    Hélène lächelte. Ja, manchmal macht es mich selbst verrückt, dass es beides gibt. Das Schreckliche erlaubt einem nicht, glücklich zu sein, und das Schöne erlaubt einem nicht, sich in der Verzweiflung einzurichten.
    Ich war im Oktober zum fünfundsechzigsten Geburtstag meines Vaters zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in Worcester. Es hat mir nicht gutgetan. Ich wusste schon, dass mein Zustand labil war. Solange ich in Leavenworth war, hatte ich alles im Griff, aber dann die Feier, die Uniformen, die Anekdoten, und verrückterweise packte es mich im harmlosesten Moment: Wir stehen auf der Veranda, weil der Kinderchor von Notre-Dame ein Ständchen bringt, lauter kleine adrette Mädchen und Jungs, ein paar Gelbe und Schwarze dabei, plötzlich knallt die Terrassentür vom Luftzug - Sie erinnern sich, wie damals hier unten in der Cafeteria -, und ich liege flach und zittere und bebe … Meine Mutter hat das vor den Gästen vertuscht, mein Bruder blieb dann eine Stunde bei mir. Und am nächsten Tag, als ich mit dem Fernglas im Wald war, da habe ich es keinen Meter
weg vom Auto geschafft. Woods hat mir erklärt, was er den Teufelskreis der Angst nennt, ein Kreislauf zwischen irgendeinem Auslöser, meiner falschen, also übertriebenen (er lachte bitter auf bei dem Wort) Wahrnehmung und der darauffolgenden hormonellen Reaktion, die sich bis zum Ausnahmezustand aufschaukelt. Sie haben ja so beruhigende Wörter dafür, die Ärzte: Vegetatives Hyperarousal nennen sie das.
    Und was sagt die Armee dazu?, fragte Hélène.
    Sie meinen, weil es schon wieder losgeht? Ob sie es nicht langsam satt ist, mich durchzufüttern? Sie unterschätzen die Gluckenhaftigkeit der US-Army, Hélène. Wer dazugehört, wird mit durchgeschleppt. Außerdem haben sie alle ein Interesse an vollständiger

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