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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Entschuldigung wegen der Krankheit und schämte mich doch und war zugleich überglücklich, in Sicherheit zu sein. Und dennoch hatte ich mich immer in Verdacht, ich hätte diese Blinddarmentzündung auch vermeiden können, wenn ich wirklich und ehrlich hätte dabeisein wollen.
    Aber noch greift die amerikanische Armee dort ja nicht ein. Keiner greift richtig ein, sagte Hélène. Sie sehen nur zu.
    Er sah sie an, als erinnere er sich an etwas, und sagte: Sie alle wollen das Schwein essen, aber schlachten wollen Sie es nicht.
    Nun sind wir doch wieder bei Krieg und Tod, sagte Hélène.
    Das waren wir auch mit Nervals untröstlichem schwarzen Ritter -.
    Der sich aber wenigstens zum schwarzen Orpheus wandelt.
    Aber erst, meinte Cote, nachdem er den Acheron zweimal siegreich durchschwommen hat. Das ist der Preis.
    Einige Wochen später war das Massaker von Srebrenica publik geworden, und sie kamen wieder auf das Thema zurück.

    Das Schlimme ist, erklärte Cote, die Übergänge sind fließend im Krieg. Was ist noch Kriegshandlung, und was ist schon Massaker?
    Das scheint mir aber doch sehr klar zu sein!, protestierte Hélène.
    Nein, das ist es nicht. Ein Soldat im Gefechtsumfeld ist kein normal funktionierender Mensch, darf gar keiner sein, da andernfalls jede Ordnung sofort auseinanderbräche. Sie machen sich keine Vorstellung, Hélène. Die absolute Anspannung, die tierische, bloße, nackte Angst vor dem Tod! Die Wut zugleich, als wären Sie auf einem schlimmen, aggressiven Drogentrip. Und dazu kommt noch, dass Sie trainiert sind, Befehle auszuführen. Ohne Fragen zu stellen. Ohne irgendetwas infrage zu stellen. Ohne nach einem größeren Zusammenhang zu fragen. Das wäre tödlich in so einer Situation. Ich sitze in meinem Bradley. Und dann knistert es, und ein Frago kommt rein, und dann noch eines. Feind gesichtet, Planquadrat sowieso. Aktion! Wo sind Sie? Was sehen Sie? Sind das da vorne Soldaten, die angreifen wollen oder sich ergeben? Und wir haben eingeschärft bekommen, keiner weißen Fahne zu trauen. Sie halten die weiße Fahne hoch, und wenn ihr dann die Waffen runternehmt, schießen sie. Oder sie liegen scheinbar verletzt am Boden, und wenn du zwei Mann und einen Sanitäter rüberschickst, sprengen sie sich selbst und alles in die Luft. Also schießt man zuerst, schießt immer, schießt für unsere Sicherheit und unser Überleben …
    Sie versuchen noch immer, mit jedem Satz, den Sie sagen, alles zu entschuldigen, alles zu rechtfertigen, sagte Hélène erbost. Sie sind hier ins Krankenhaus gekommen
als ein Wrack, wie Sie gesagt haben, weil der Krieg Ihre Seele kaputtgemacht hat, und trotzdem ist alles richtig, was im Krieg passiert, jede Unmenschlichkeit!
    Der Amerikaner schüttelte den Kopf. Nein, glauben Sie mir, Hélène, ich will gar nichts rechtfertigen. Ich versuche nur, meine Haut zu retten. Ich versuche, aus diesem Inferno herauszukommen, und Woods zwingt mich, den ganzen Weg über die Augen offenzuhalten. Ich muss an allen meinen Toten noch einmal mit offenen Augen vorbeigehen, wenn ich jemals wieder hinauf ans Licht will …
    Und was für ein Mensch bin ich?, fügte er hinzu. Man erkennt sich selbst ja immer erst an seinen Taten, nicht an den hunderttausend Möglichkeiten, die es zuvor gab …
    Hélène schwieg. Diesmal führte der Spazierweg sie durch die Buttes-Chaumont. Es war ein kühler, wolkiger Sommertag unter der Woche. Der Amerikaner sah sich, während sie langsam die Rundwege abschritten, in den Gesprächspausen sorgfältig um. Sah junge Leute, die auf einer steilen Wiese lagen, manche mit einem Buch, andere hatten die Augen geschlossen und hörten Musik über Kopfhörer. Ein schönes junges Mädchen mit einer verspiegelten Sonnenbrille, in der die treibenden Wolken schwammen. Einen Angestellten in kurzärmligem Hemd und Krawatte, der auf der Kante einer Bank hockte und einen Hamburger aß. Der Pappkarton mit Papierservietten darin stand auf einem schwarzen Aktenköfferchen mit goldenem Zahlenschloss. In den Bäumen und Büschen sah er Amseln, Zaunkönige, Meisen, Spottdrosseln. Die Tauben auf den oberen Ästen eines Ahorns
ließen ihr regelmäßiges Gruugruu hören. Ihr Gefieder glänzte blaugrau, und sie waren auch weniger struppig als ihre Vettern in der Stadt. Um den nackten Stamm einer Buche, der türkis schimmerte wie ein von Grünspan bedeckter kupferner Kirchturm, lief in Spiralen ein Kleiber. Ein Eichelhäher schickte seinen grellen Warnruf. Beim Teich saßen zwei ältere Damen,

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