Das Amerikanische Hospital
sich selbst unter Kontrolle zu haben reicht nicht, denn die Situation ist größer als man selbst. Sobald man einmal drin ist, ist man gefährdet. Denn der Krieg ist eine Situation, die ihrem Wesen nach außer Kontrolle ist, vor allem außerhalb meiner Kontrolle. Diese Hyper-Wachsamkeit, die man dabei aufbaut, so lebensrettend sie im Feld sein kann, so nervenzerrüttend ist sie im Frieden … Und manchmal, da kommt so eine jähe, bodenlose Wut in Ihnen hoch, ein Zorn, der aus dem Nichts auftaucht wie eine Eruption … Und dann wieder erleben Sie mitten im Horror etwas, das Ihnen die Tränen in die Augen treibt vor Freude und Trauer und Stolz, und dann sagt man sich - Sie werden es idiotisch finden, ich weiß -, ja, schrecklich wie sie ist, ist dies meine Heimat …
Sie sah ihn skeptisch an.
Es war am frühen Morgen des 27., glaube ich, kurz nach dem Angriff auf das Rollfeld, den Flughafen von
Jalibah. Den ganzen Abend war der Highway 8 blockiert worden, weil die Division auftanken musste, wobei sie extrem verwundbar ist - wir waren zu schnell vorangekommen, zweihundert Meilen in zwei Tagen, und hatten schlicht kein Benzin mehr -, jedenfalls, es war früher Morgen, mein Bradley kommt auf dem Highway 8 an - Sie müssen sich das vorstellen, Sie fahren durch eine Wüste, die bis zum Horizont geht, es gibt nichts anderes, das Ende der Welt, einer völlig desolaten Welt abseits von allem, und plötzlich rollen Sie eine Böschung runter und kreuzen eine perfekt ausgebaute, sechsspurige Autobahn, mit Standspur und Überführungen und Verkehrsschildern, als wäre man irgendwo in Arizona. Zivilisation, verstehen Sie? Und dort also waren während der Blockade mehrere Militärlaster zerstört worden, und eine Reihe toter irakischer Soldaten lag auf der Fahrbahn herum. Einer davon, steif und verkrümmt, genau auf dem Mittelstreifen, aber jemand hatte ihn mit einem unserer schwarzen Plastiksäcke zugedeckt. Soldaten kennen den Anblick dieser Säcke, er ist einer der schlimmsten, er heißt tote Kameraden, aber da hatte irgendeiner von uns, wahrscheinlich nachdem er den Iraker erschossen hatte, ihm die letzte Ehre erwiesen, bevor er weiterfuhr, und hatte den Leichnam mit diesem Plastiksack bedeckt. Mitten im Töten und Getötetwerden hat er daran gedacht, diesem unbekannten Feind, diesem Menschen Respekt zu erweisen …
Haben Sie denn viele Ihrer Kameraden sterben sehen?, fragte Hélène.
Fallen sehen, verbesserte der Amerikaner. Nein, ich habe nur von sehr wenigen Toten bei uns gehört. Gott
sei Dank keiner von meinen Leuten. Nein, die Toten, die ich gesehen habe, waren die anderen.
Und viele von denen?, fragte Hélène.
Der Amerikaner nickte. Viele.
Hélène war kurz davor, etwas zu sagen. Sie wollte sagen: Und Ihr Dr. Woods lässt Sie jeden dieser Toten Revue passieren und polt Ihre Reaktionen um, damit sie nichts mehr mit Ihnen zu tun haben. Aber sie sagte es nicht. Sie biss sich auf die Lippen.
Cote schüttelte den Kopf. Eigentlich müsste fast jeder, der dabei war, Gedichte schreiben …
Hélène starrte ihn entgeistert an.
Doch, doch, sagte er, mehr zu sich selbst. Die Nadeln der Bilder unter den Nägeln. Jedes Detail eine Nadel, bei jedem Atemzug gehen sie tiefer ins Fleisch. Daraus hat sie ihre Gedichte gemacht … Die Flamme rann hinab. Wir sahen das Pärchen Eulen, die dort nisten, auf- und hochflattern, ihr wirrendes Schwarz-Weiß von unten her rosig befleckt, bis sie schreiend außer Sicht gerieten…O fallendes Feuer und durchdringender Schrei und Panik und eine schwache hürnene Faust, ahnungslos geballt gegen den Himmel …
Sie hatten ihren Spaziergang beendet und verabschiedeten sich am Tor.
I m Juni bat der Amerikaner Hélène, die Spaziergänge von der Basis des Krankenhauses wegzuführen und ihm stattdessen Orte in Paris zu zeigen, die ihr etwas bedeuteten.
Sie trafen sich weiterhin in Neuilly im amerikanischen Hospital, der Erste wartete auf den anderen in dem kleinen Clubraum, vor dessen Tür sie einander zuerst begegnet waren. Dann bestiegen sie eines der immer unten auf dem Parkplatz wartenden Taxis, die der Amerikaner bezahlte.
Hélène hatte mit zusammengebissenen Zähnen, und ohne sich große Hoffnungen zu machen, ihre fünfte IVF begonnen und von Dr. Le Goff ihre Decapeptyl-Injektionen zur Down-Regulierung bekommen. Die täglichen Spritzen, die auf die Blutung folgen würden, waren zu einer Selbstverständlichkeit geworden wie Waschen und Zähneputzen. Den Reaktionen ihres Körpers darauf
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