Das Amerikanische Hospital
und stellte dann fest, dass seine Kiefer schmerzten, weil er seit geraumer Zeit die Zähne aufeinanderbiss. Sie standen unschlüssig am Rand des Platzes, was ihm Gelegenheit gab umherzublicken und sich zu orientieren.
Nein, das ist kein Krieg, dachte er. Und das schaffe ich auch wieder. Ich muss mich zusammenreißen, aber ich schaffe es. Aber das andere, wurde ihm in aller Schärfe bewusst, als er an die ähnlichen und doch so unterschiedlichen Bilder von verkeilten Autos und dröhnenden Hubschraubern am Himmel zurückdachte und sich der Anspannung und Angst und Konzentration und des Abscheus erinnerte, das andere, das geht nicht mehr. Nie mehr. Das will ich nicht mehr. Das kann ich nicht mehr.
Hélènes Augen folgten währenddessen voller Bewunderung und Zuneigung der Göttin der Wirrsal, der Luftgöttin, die unberührt über den Mahlstrom glitt. Eine junge Fahrradfahrerin, wie man sie jetzt öfter in der Stadt sah, schlank, durchtrainiert, auf einem Männerrennrad, einen kleinen Rucksack, aus dem eine Wasserflasche
ragte, auf dem Rücken, Ohrstöpsel in den Ohren, deren Kabel in ihrer Anoraktasche verschwanden, Radfahrerhandschuhe an den Händen, schwarze Schnürstiefel, die in die Pedale traten, androgyn und doch weiblich, zutiefst unabhängig - mit gleichmütigem Gesicht erfuhr sie, quer zu den herkömmlichen, neue Wege durch die Stadt, ihren eigenen Songlines folgend, die einzige Gewinnerin des Spiels, ihrer Zeit voraus oder vielleicht als Einzige in ihrer Zeit geborgen, während alle Welt Rückzugsgefechte führte.
Der Anblick der Radfahrerin und des Managers vorhin auf der Ladefläche bewog Hélène, selbst mit der Tradition zu brechen. Sie stellte sich zwei Meter auf die Fahrbahn der Avenue de Villiers hinaus und hob den Daumen, in der Hoffnung, eines der vor dem Kreisverkehr drehenden Autos werde sie mitnehmen - irgendwohin. Hauptsache, Bewegung.
Der Amerikaner stand zwei Schritte hinter ihr, durchweicht und mehr denn je ein abgerissener und überforderter Schutzengel, der selbst eher Hilfe brauchte, als er welche spenden konnte. Als er sich in Gedanken so sah, musste er schmunzeln.
Es dauerte keine zwei Minuten, da hielt ein R5-Kastenwagen, der gegen den Verkehr auf dem Rond Point gedreht hatte und wieder dorthin zurückfuhr, wo er hergekommen war, vor Hélène an. Auf der fensterlosen Seite waren die Apothekenzeichen Paracelsusstab und Natter zu sehen. Ein pharmazeutischer Kurier. Eine Frau mittleren Alters, eine Zigarette im Mund, beugte sich zur Beifahrerseite und kurbelte das Fenster herunter. Sie wollen mit? Keine Garantie, dass ich es weit bringe. Es
ist überall voll. Ich hab nur einen Platz, den müssen Sie sich irgendwie teilen.
Als sie Hélène zögern sah, schloss sie an: Wegen Sicherheitsgurt machen Sie sich mal keine Gedanken. Die Bullen haben heute andere Sorgen.
Hélène lächelte und sah Cote fragend an: Schaffen wir das?
Er stieg kurzerhand ein, reichte ihr dann die Hand und zog sie ins Auto, wo sie halb auf ihm, halb zwischen seinen Schenkeln auf der Sitzkante zu hocken kam und den Kopf nach hinten gegen seine Schulter oder zur Seite legen musste, um nicht gegen den unverpolsterten Dachhimmel zu stoßen.
Was für ein Wetter, hm?, sagte die Frau. Ausgerechnet heute. Wo wollen Sie denn hin?
Hélène zuckte die Achseln. Ein bisschen weiter in die Stadt rein.
Na, mal sehen, sagte die Fahrerin und bot beiden von ihren Zigaretten an. Rund um den kleinen, vollen Aschenbecher lag überall verstreute Asche, auf der Schaltkonsole, dem Armaturenbrett, den Gummimatten. Die Scheiben beschlugen, und wann immer sie hielt, wischte die Frau mit dem Ärmel ein Sichtfeld frei.
Ich dachte, ich komme raus auf den Périphérique, sagte sie. Ich hab ja zum Glück meine Lieferungen durch für heute, ich will so einen Tag nicht noch einmal erleben. Dass es auch verderbliche Ware gibt, die in den Kühlschrank muss, das interessiert ja keinen. Ich bräuchte ein Blaulicht. Da ist ja an normales Arbeiten nicht zu denken. Ich muss nach Créteil runter. Aber hier ist das ja hoffnungslos. Na, mal sehen, wie weit wir kommen.
Wenn alle Stricke reißen, krieche ich heut Nacht bei einer Freundin unter. Die wohnt bei Denfert. Müssen die Kinder kalt essen, ich kann es nicht ändern. Ich habe nämlich so ein Gefühl, dass da unten auch kein Durchkommen mehr sein wird. Wenn es mein Auto wäre, würde ich es auch einfach am Straßenrand abstellen. Kann die Leute schon verstehen. Aber ich kann mir alles Mögliche
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