Das Amerikanische Hospital
Wolkendecke violett, und durch den Nebel sah man, im ohrenbetäubenden Lärm ihrer Motoren, verteilt über die Stadtautobahn und versetzt in der Höhe, drei riesige, unheilvolle Libellen, gebannt in den Wirbel ihrer Rotoren, drei Polizeihubschrauber, die das Verkehrsgeschehen in bedrohlicher Tatenlosigkeit überblickten. Eine vierspurige Phalanx gelber Frontscheinwerfer bis zum Horizont, eine vierspurige Phalanx roter Brems- und Rückleuchten bis zum Horizont, zerfetzt und quellend im Tröpfchenschleier von Nebel und
Nieselregen. Auch auf der Brücke, auf den Zubringern und Abfahrten, stand der Verkehr still, die Motoren brummten und dröhnten, jaulten und heulten hilflos und hungrig im Leerlauf auf, von Zeit zu Zeit initiierte ein Verzweifelter ein Hupkonzert, das sich wie ein Trompetensignal durch die Schlange fortpflanzte, irgendwo erstarb, irgendwo wieder aufgenommen wurde.
Die Situation war so ausweglos, dass Anarchie sich breitmachte: Man sah die ersten Vespas und Motorroller gegen die Fahrtrichtung drehen, sich durch den erstarrten Strom schlängeln und winden, es folgte viel Gestikulieren aus offenen Fenstern, Einbahnstraßen wurden von Ungeduldigen und Oberschlauen missbraucht, was wiederum zu unlösbaren neuen Konfrontationen führte, Trottoirs wurden als Zusatzspuren zweckentfremdet, und lautstarker Streit entbrannte zwischen Fußgängern und Autofahrern. Einige verloren die Nerven und stellten ihre Wagen auf Kantsteinen, Gehwegen, am Straßenrand in doppelter Reihe ab und gingen einfach davon. Außer den Drohnen am Himmel war nirgendwo Polizei zu sehen, nur näher und ferner heulten Sirenen auf und verhallten wieder. Die Masse der Fußgänger, die in die Stadt hineinstrebte, scherte sich nicht mehr um Ampeln, Zebrastreifen, Gehwege. Zwischen den Autos hindurch, vor ihnen her gingen sie, stur, ohne sich umzusehen, überall, wo Raum war, fluteten sie hinein, ergossen sich auf die Straße, schlossen sich zur undurchdringlichen Menschenmauer, wenn ein Lastwagen sein Recht erhupen wollte.
Am Rand der Brücke über den Périphérique blieb der Amerikaner stehen. Müssen wir da hinüber?, fragte er
und hielt sich mit einer Hand am Geländer fest, als drohe er andernfalls in den Mahlstrom, in die gelb und rot züngelnde Schlangengrube zu stürzen.
Hélène lächelte ihm zu: Ich muss, fürchte ich, sonst komme ich nie mehr nach Hause oder sonstwohin. Aber Sie -.
Nein, nein, ich komme mit. Sind Sie so lieb und nehmen meinen Arm, nur über die Brücke hier. Gottverdammt, das ist eine Rosskur. Es ist wie -.
Hélène, die ahnte, was folgen würde, unterbrach ihn: Nein, schauen Sie genau hin. Es herrscht zwar Chaos, aber keine Aggressivität - oder jedenfalls keine, die uns gefährlich werden könnte. Ich kenne das vom Hörensagen. Wenn die alte Stadt anfängt, sich auf ihre Lust an der Anarchie zu besinnen, dann wird es gefährlich nur für die da oben.
Cote blickte unwillkürlich zu den donnernden, kreischenden Helikoptern hinauf, die in weniger als fünfzig Metern Höhe standen, um unter der Wolkendecke zu sein, und die Kegel ihrer Suchscheinwerfer über die dämmrige Bühne schweifen ließen, auf der Auflösung gespielt wurde.
Nein, sagte Hélène. Die meine ich nicht. 1968 muss es so gewesen sein, da ist sogar de Gaulle geflohen. Wenn die Pariser mit débrouillardise anfangen, dann fallen Regierungen.
Mit was?, fragte der Amerikaner.
Entschuldigung, ein unübersetzbares Wort. Was ich meine, ist, wenn die öffentliche Ordnung zusammenbricht und die Pariser auf eigene Faust reagieren und anfangen, sich irgendwie durchzumogeln, wenn die
Stadt auf stur schaltet, einen runden Rücken macht, alle Appelle an Vernunft und Bürgersinn an sich abprallen lässt …
Apropos Vernunft, sagte der Amerikaner. Wo wollen wir eigentlich hin?
Erst einmal in die Stadt hinein. Und dann sehen, wie wir weiterkommen. Wer weiß, wie es jenseits der Petite Ceinture aussieht. Hier wollen alle auf die Autobahn und können nicht, und die runterwollen, stecken auch fest. Kommen Sie, wir müssen hier irgendwie durch.
Es begann wieder zu schneien, sogar in dicken Flocken, die vor der düsteren Mauer der Vorstadt, erleuchtet von der Lichtorgel der Autoscheinwerfer, aussahen wie Theaterschnee, der vor einem schwarzen Vorhang sackweise ausgeleert wird. Sie taumelten in aufreizender Langsamkeit, Ruhe und Stille herab, als wollten sie die aufgeregte Stadt zur Entschleunigung mahnen oder einfach alles bedecken und verschwinden lassen. Aber
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