Das Amulett der Macht
kleines Dorf, auf dessen einziger unbefestigter Straße ein Dutzend Kinder Fußball spielten, und dann hörte das Dorf so abrupt auf, wie es begonnen hatte, und auf der folgenden Meile war das Land kultiviert.
Es ist erstaunlich, dachte sie. Hier am Nil gleicht Ägypten gutem englischem Ackerland – grün, üppig, fruchtbar. Aber wenn man von den Ufern des Flusses auch nur eine halbe Meile landeinwärts geht, ist es kaum zu unterscheiden von der Sahara oder der Gobi-Wüste.
Sie winkte einer Feluke zu, auf der vier einheimische Fischer fuhren. Sie grüßten zurück. Einer der Männer erhob sich, stand unsicher da, fand sein Gleichgewicht, zeigte auf ihre Pistolen und deutete ein schnelles Ziehen der Waffen an. Sie lachte, zielte mit dem Finger auf ihn und tat so, als schieße sie. Er fasste sich an die Brust und fiel theatralisch in den Nil, was seine Gefährten grenzenlos zu amüsieren schien. Schließlich zogen sie ihn heraus, während die Amenhotep vorbeifuhr, und ihr Kielwasser brachte das kleine Boot fast zum Kentern.
Die Fischerei musste gut laufen, mutmaßte sie, weil sie eine ganze Zahl von entsprechenden Booten zu passieren begannen. Sie blieb an der Reling stehen, suchte weiter nach Orientierungspunkten, erwiderte das Winken und Lächeln der Fischer und genoss es einfach, stark genug zu sein, sich auf den Beinen zu halten und die sanfte Brise auf ihrem verschwollenen Gesicht zu spüren.
Sie hatte mitbekommen, dass eine Reihe von Arabern in weiten Gewändern das Restaurant betraten oder verließen, und dass jeder von ihnen sie angestarrt hatte, einige mit offener Feindseligkeit, andere mit kaum verhohlener Gier – ein paar mit simpler Neugier. Doch keiner von ihnen war auf sie zugekommen, und sie verspürte nicht den Drang, von sich aus Bekanntschaft mit jemandem zu schließen. So weit sie wusste, würde jeder dieser Männer sie an die Mahdisten verraten. Es mochten sogar Mahdisten sein. So blieb sie allein, zufrieden, einfach nur an der Reling zu stehen und die ägyptische Landschaft vorbeiziehen zu sehen.
Eine weitere Feluke näherte sich. Darin befanden sich zwei Fischer, von denen einer eine Robe trug, der andere nur einen Lendenschurz. Beide hatten sie einen Turban auf. Der im Lendenschurz rief ihr in gebrochenem Englisch einen Gruß zu.
»Hi, Missy!«, sagte er und winkte mit der Hand. »Sie sind schönste Frau, die ich ganz Monat gesehen hab!«
»Danke«, sagte Lara.
»Sie sind Engländerin, ja?«
»Ja.«
»Ich war schon in London«, sagte der Mann stolz. »London Bridge. Buckingham Palace. Piccadilly Circus.«
»Und ich war schon in Kairo«, erwiderte Lara. »Die Pyramiden. Der Sphinx. Die Ibn-Tulun-Moschee.«
Der Mann lachte. »Sie sind gut gereist, Missy.«
»Häufig auf Reisen zumindest.«
»Was ist mit Ihre Gesicht passiert?«, fragte der Mann. »Ihr Ehemann hat gefunden Sie mit einem anderen Mann?«
»Ich bin gegen eine Tür gelaufen.«
Die Feluke trieb näher heran. »Sehr harte Tür«, sagte der Mann, ihr blaues Auge musternd. Plötzlich bemerkte er ihre Pistolen. »Warum Waffen, Missy?«, fragte er. »Sie erschießen ägyptischen Mann, wenn er frech wird?«
Sie lächelte. »Werden Sie frech, und Sie werden es erfahren.«
»Sie bitten mich, frech zu werden?«, sagte er und vollführte ein Tänzchen, das ihn beinahe das Gleichgewicht kostete.
Sie lachte belustigt. Dann bemerkte sie aus den Augenwinkeln am anderen Ende der Feluke eine huschende Bewegung. Während der Mann im Lendenschurz ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte, hatte der in eine Robe Gekleidete eine Schusswaffe gezogen, mit der er jetzt auf sie zielte.
Lara warf sich auf die Decksplanken, zog ihre Black Demons, und als die Kugel ihres Gegners von der rostigen Reling abprallte, feuerte sie fünf schnelle Schüsse ab. Der Mann griff sich an die Brust, dann schrie er einmal auf und fiel über Bord.
Lara wandte sich wieder der männlichen Gestalt im Lendenschurz zu. Diese hatte einen Dolch in der Hand und war gerade im Begriff, ihn zu werfen, als Laras Kugel dem Mann die Waffe aus den Fingern schmetterte. Ungläubig starrte er seine leere Hand an, dann drehte er sich zu Lara um.
»Komm her«, sagte sie, beide Pistolen auf ihn gerichtet. »Ich habe ein paar Fragen an dich.«
Der Mann öffnete den Mund, wie um zu antworten, aber dann sah Lara, dass er nach Luft schnappte. Seine Augen traten hervor, sein Gesicht lief rot an, und er streckte die Zunge heraus, als pressten ihm Geisterhände die Kehle zusammen. Genau
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