Das Amulett der Pilgerin - Roman
eine warme Nacht, und Wölfe sind aus dieser Gegend schon lange nicht mehr gemeldet worden. Selbst wenn man ungewollt im Freien übernachten muss, ist es zu dieser Jahreszeit nicht so schlimm.«
Sie gingen zusammen zum Stall.
»Mein Schwiegervater hat das Gelenk Ihres Pferdes untersucht«, fuhr Harold fort, nachdem er sich vorgestellt hatte, »hat einen Umschlag gemacht und meint, dass es nur einige Zeit Ruhe braucht. Er versteht sehr viel von Pferden.«
Harold führte das Pferd in die große Box, in der auch Julians Fuchs stand, und nahm ihm die Trense ab. Julian tastete das Gelenk seines Tieres ab und kam zu der gleichen Einschätzung wie Paul. Zeit würde die Sache heilen, aber Zeit war es, was er nicht hatte. Harold lehnte an einem der Pfosten und beobachtete ihn. Julian stand auf.
»Vielen Dank, dass ich Ihr Pferd ausleihen durfte. Ich werde Sie selbstverständlich dafür bezahlen.«
Harold winkte ab.
»Nein, ich bestehe darauf. Ich würde es auch gerne morgen noch mal haben. Ist das möglich?«
»Ja, das lässt sich einrichten. Kommen Sie, Molly hat Ihnen etwas zu essen warmgehalten.«
Dankbar folgte Julian dem Bauern in das einfache Wohnhaus. In der hinteren Ecke schliefen mehrere Kinder, die Julian zuvor noch nicht gesehen hatte. Um die Feuerstelle saßen Molly, Paul, ein etwa fünfzehnjähriger Jüngling und ein etwas jüngeres Mädchen, die beide die flammendroten Haare ihres Vaters geerbt hatten.
»So, macht Platz für den Gast und euren Vater«, scheuchte Paul seine Enkel in der ihm eigenen brüsken Art von den Plätzen.
»Haben Sie nichts gefunden, hm?«, stellte er fest, als Julian sich auf den Stuhl ans Feuer setzte. Molly reichte ihm eine Schüssel mit Gerstengrütze. Es war ein karges Mahl, aber Julian war hungrig und aß mit großem Genuss. Er bekam noch einen Krug mit Harolds vorzüglichem Bier, lehnte sich schließlich zurück und blickte in die Runde.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Gastfreundschaft. Nein, leider habe ich meine Begleiterin noch nicht gefunden. Ich werde morgen weitersuchen.«
»Soll gutes Wetter geben, morgen«, brummte Paul.
»Wie weit ist Salisbury von hier entfernt?«
»Die nächste Stadt ist Shaftesbury.«
»Oh, ich dachte, ich wäre schon weiter östlich.«
»Nein, Shaftesbury ist eindeutig näher als Salisbury.«
»Ich muss mir ein Ersatzpferd für den Fuchs besorgen.« Molly blickte von ihrem Nähzeug auf.
»Will der Nachbar nicht seinen Apfelschimmel verkaufen?«
»Ach, was will denn ein Herr wie er« – Paul nickte zu Julian hinüber – »mit so einem grobknochigen Trampel.«
»Ich habe das Tier letzte Woche gesehen und fand, dass es einen guten Gang hatte«, wagte Harold seinem Schwiegervater zu widersprechen. Die darauf folgende Schimpftirade ließ er gleichmütig über sich ergehen. In einer Atempause schaltete sich Julian ein.
»Ich brauche nur ein zuverlässiges, kräftiges Pferd als Ersatz. Es muss keine Schönheit sein.« Er nickte Paul begütigend zu.
»Was meinen Sie, ist es einigermaßen zu gebrauchen?«
»Einigermaßen, mehr aber sicher auch nicht!«
»Vielleicht kann ich es mir morgen Abend ansehen?«
»Ich kann es holen«, sagte Harold.
»Unsinn, ich werde es holen. Reitpferde sind die Angelegenheiten von freien Männern, Ackergäule die von Hörigen!«
»Vater! Jetzt fang doch nicht schon wieder damit an«, schalt ihn seine Tochter. Julian fand, es war an der Zeit, zu Bett zu gehen.
»Ich habe ein Lager für Sie in der Scheune vorbereitet.«
Er folgte Harold hinaus. Sie gingen über den Hof.
»Mein Schwiegervater ist ein sehr stolzer Mann. Er kann es nicht verwinden, dass ich diese Fronstelle angenommen habe und jetzt ein Höriger bin.«
»Sie sind also frei geboren?«
»Ja, mein Vater war freier Bauer. Während des Krieges zwischen der Kaiserin und König Stephen hat er alles verloren. Als freier Mann musste er Waffendienst leisten, als sein Herr dann auf der Verliererseite war und ihm die Güter weggenommen wurden, verloren auch wir den Hof.«
Julian nickte. Häufig war das Leben als freier Bauer schwerer als das in Abhängigkeit. Zwar hatte man als Freier alle Rechte, aber auch alle Pflichten. In schlimmen Zeiten konnten einen die Pflichten zugrunde richten. Wenn dann noch eine Missernte oder persönliche Tragödie dazukam, war man schnell am Ende. Es gab keine Sicherheit, wie es der Fall war, wenn man sich in die Abhängigkeit begab: Schutz vor schlechten Ernten, der Willkür anderer Herren oder dem
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