Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Amulett der Pilgerin - Roman

Titel: Das Amulett der Pilgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Bastian
Vom Netzwerk:
anders war demgegenüber der jüngere Bruder Richard, dessen militärisches Geschick und politische Ambitionen eine noch viel ernstere Besorgnis in Henry II. hervorrief. Nicht vergessen werden durfte die umtriebige, eigenwillige Königin Eleonore, die ebenfalls ihre eigenen Pläne hatte. Auch die Barone des Reiches standen keineswegs geschlossen hinter ihrem König. Eine schwache Königsmacht bedeutete mehr Macht für sie. Henry hatte nach seiner Thronbesteigung die Mehrzahl der illegalen Burgen schleifen lassen und die während des Bürgerkriegs widerrechtliche Annexion von Krongut rückgängig gemacht. Dieses harte Durchgreifen hatte ihm viele Feinde geschaffen. Nein, dachte Julian, er würde nicht gerne mit König Henry tauschen wollen. Sein Leben war ein einziger Kampf um den Erhalt seiner Macht. Er konnte nicht einmal seiner engsten Familie trauen. Seit Längerem gab es das Gerücht, dass sich die Söhne gegen ihren Vater erheben wollten. Würde ein vereintes Vorgehen der Brüder den König tatsächlich in Bedrängnis bringen? Das käme darauf an, wer noch die Gelegenheit wahrnehmen und sich der Rebellion anschließen würde. Ein erneuter Kampf um die Herrschaft würde für das Land eine Katastrophe sein.
    »Wissen wir, mit welchem Schiff der Kurier gesegelt ist?«
    »Nein, und nicht einmal genau, wo er an Land gegangen ist.«
    Julian rieb sich das Kinn. Prinz Richard würde alle Untersuchungen in der Normandie zu behindern wissen, dachte er und fragte weiter: »Wie kommt es, dass du eine Beschreibung von Rinaldo hast? Meine Nachricht aus Exeter kann doch unmöglich schon in Westminster angekommen sein, ehe du abgereist bist.«
    »Mister Thorn war bereits in Shaftesbury. Der Bote hat hier Station gemacht.«
    Warum wusste Julian nicht, dass Thorn sich hier aufhielt? Üblicherweise informierten sie sich immer über ihre jeweiligen Aufenthaltsorte, denn das erleichterte den Austausch zwischen den Agenten erheblich. Julian zuckte mit den Schultern. Thorn hielt sich selten an Absprachen, und wahrscheinlich war er in irgendeiner seiner dubiosen Missionen unterwegs.
    »Thorn hat dich also auf die Suche nach dem Südländer geschickt?«
    »Ja.«
    Das war typisch, dachte Julian. Thorn war zu bequem gewesen, selbst dem Hinweis nachzugehen. Erst als sich die Hinweise verdichteten und er möglicherweise mit der Ergreifung des Kuriers Punkte sammeln konnte, hatte er sich für Julians Meldung interessiert. Und sogar dann hatte er die Laufarbeit einen anderen machen lassen.
    »Ich muss mit Thorn sprechen. Wo ist er abgestiegen?«
    »Im Gästehaus der Abtei.«
    »Selbstverständlich. Wie hätte es anders sein können.«
    »Soll ich mitkommen, Sir?«
    »Natürlich.«
    Melchor Thorn hatte gerade ein üppiges Abendmahl zu sich genommen, als ihm die Besucher angekündigt wurden. Er winkte dem Diener, den Tisch abzuräumen, und winkte mit der gleichen herrischen Bewegung seine Besucher herein.
    »Ich hoffe, wir stören nicht?«
    Thorn überhörte Julians sarkastischen Tonfall und deutete, ohne aufzustehen, auf zwei gepolsterte Ledersessel. Der Wohnraum des Gästequartiers war komplett mit dunklem Holz getäfelt. Im Winter wurde der Raum durch einen breiten, gemauerten Kamin geheizt. Es war ein luxuriöses Gemach, dem sich noch ein Schlafraum anschloss. Julian war bekannt, dass Thorn gute Beziehungen zur Abtei in Shaftesbury unterhielt, allerdings wusste er nicht, welcher Art diese Beziehungen waren.
    »Also hat« – er schloss kurz die Augen, um sich an den Namen zu erinnern – »Emmitt dich über alles informiert?«
    »Ich wusste nicht, dass du hier bist.« Julian blickte Thorn direkt in die Augen.
    »Und?«
    »Es wäre für die Untersuchung von Vorteil gewesen.«
    »Eine Privatangelegenheit.«
    »Was sonst.«
    Wieder blickten sie sich feindselig an.
    »Also, was wollen wir unternehmen? Schlag doch etwas vor, White. Bist doch immer so eifrig.«
    Warum duldete der Kardinal einen solch unzuverlässigen, korrupten Mann unter seinen Agenten? Die Erklärung konnte nur sein, dass er jemanden für die wirklich schmutzige Drecksarbeit brauchte, jemanden, der bar jeden Gewissens war. Dafür war Melchor Thorn genau der Richtige. Und deshalb konnte er sich auch Sachen erlauben, die keiner seiner Kollegen je gewagt hätte.
    »Mir wurde gesagt, dass der Südländer heute hier ein Pferd gekauft hat. Möglicherweise ist er noch in der Stadt.«
    Thorn setzte sich auf.
    »Er ist hier?«
    »Ja. Wohl nicht so gut aufgepasst, wie?« Julian gönnte

Weitere Kostenlose Bücher