Das Amulett der Pilgerin - Roman
verschmorten augenblicklich.
»Also?«
»Ich weiß es doch nicht«, flüsterte Viviana kaum hörbar.
»Verdammt noch mal!«
Wütend rammte er das glühende Ende des Eisens um Haaresbreite an ihrem nackten Fuß vorbei in die Erde. Erschrocken schrie sie auf und blickte ihn an. Ihr geschundenes Gesicht war schmutzig von Blut und Erde. Julian musste sich zwingen, den Blick nicht abzuwenden und in ihre Augen zu sehen. Er sah Entsetzen. Entsetzen über ihn. In welche Hölle war er hier hineingeraten? Er gab Rob das Eisen zurück. Es hatte einen tiefen, schwarzen Abdruck auf dem Boden hinterlassen.
»Gut, dann werde ich Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Ich hoffe für Sie, dass Sie sich dann vielleicht doch erinnern können und wir hier nicht noch weiter unsere Zeit verschwenden.«
Sie starrte ihn an.
»Ihr Name ist Emmanuelle Foulaise. Sie sind ein Kurier im Auftrag unserer Feinde. Wer genau das ist, werden Sie mir noch sagen. Sie sind auf dem Weg, eine Liste mit den Namen der Verschwörer an die richtigen Leute weiterzugeben. Ich könnte Ihnen noch einiges anderes vorwerfen, aber dies hier reicht schon für den Strang.«
Er stutzte. Vor seinen Augen veränderte sich etwas in Vivianas Gesicht. Der Ausdruck von verzweifelter Unschuld war plötzlich verschwunden. Die Augen, die ihn jetzt ansahen, schienen seltsam alt in ihrem jungen Gesicht. Es waren die Augen eines Menschen, der für sein Alter schon zu viel von den dunklen Seiten des Lebens gesehen hatte. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
»Das reicht schon für den Strang? Wie kleinlich.« Ein zynisches Lächeln umspielte ihre Lippen, und sie wischte sich ihre Augen trocken.
Julian blinzelte. Es rauschte in seinen Ohren, und er versuchte zu begreifen, was sich gerade vor seinen Augen abgespielt hatte. Sie war plötzlich zu einem anderen Menschen geworden, es war, als hätte sich Viviana einfach in Luft aufgelöst. Nein, sie hatte sich tatsächlich nicht erinnert! Er starrte die Fremde vor sich an. Sie erwiderte seinen Blick provozierend. Noch ehe Julian seine Gedanken neu sortieren konnte, öffnete sich die Tür, und die Wache ließ einen Mann in den Keller. Es war der Kardinal.
»Danke, White, ich übernehme.«
Er entließ ihn mit einem Nicken. Irritiert verließ Julian den Keller. Die Tür schloss sich hinter ihm. Was, zum Teufel, machte der Kardinal plötzlich hier? Simeon musste ihm gemeldet haben, dass Julian in Begleitung einer Frau war, bei der es sich möglicherweise um den Kurier handelte. Er lehnte sich an die kalte Steinwand des Ganges. Wieder sah er die großen, dunklen Augen vor sich, aus denen Viviana plötzlich verschwunden war und wo eine Fremde Platz genommen hatte. Er hatte sie zu Unrecht beschuldigt und doch zu Recht. Dass der Kardinal selbst sich hier befand, konnte nur bedeuten, dass die Sache von extremer Wichtigkeit war. Aber es war gut, dass man ihm die Angelegenheit jetzt abgenommen hatte, dachte Julian. Sein Herz war viel zu tief in diese Sache verstrickt, als dass er seinem König noch einen guten Dienst erweisen könnte. Er merkte, wie seine Hände zitterten, und er spürte wieder das Brennen, das er gefühlt hatte, als er Viviana ins Gesicht geschlagen hatte. Seine Gefühle hatten ihn blind gemacht, er hatte so viele Fehler begangen. Wieder einmal fragte sich Julian, ob er für diesen Beruf noch geeignet war, ob er so weiter sein Leben fristen wollte. Er wusste nicht, wie lange er dort gestanden hatte, als die Tür wieder aufging. Der Kardinal trat durch die Tür, gefolgt von der Französin. Sie trug keine Fesseln mehr.
»Ich will Sie sprechen, White.« Er ging an ihm vorbei. Die Frau blieb stehen und blickte ihn an.
»Ich stehe in deiner Schuld. Ich weiß jetzt wieder, wer ich wirklich bin.« Ihre Augen waren unergründlich. »Und auch, wer du wirklich bist, Julian.«
Damit folgte sie dem Kardinal den Gang hinunter. Julian sah ihr nach. Der Sheriff trat zu ihm.
»Tja, das ist die hohe Politik. Ich kann Ihnen keine Einzelheiten sagen, aber der Kardinal hat ein Geschäft abgeschlossen.« Er klopfte Julian auf die Schulter. »Nehmen Sie es nicht so schwer.«
• 16 •
A ber wir können ihr doch unmöglich trauen!« Julian versuchte den Kardinal wenig später in einem der Schreibzimmer des Sheriffs zu überzeugen.
»Ich vertraue ihr keineswegs, aber wenn wir sie festsetzen, haben wir gar nichts.«
»Was, wenn sie versucht zu fliehen?«
Der Kardinal sah Julian amüsiert an.
»Dann sind Sie ja dabei,
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