Das Amulett
bewusstlos zu Boden sank.
»Was hast du mit ihm vor«, fragte Daavir, als er den Freund erreichte.
»Er kann uns nützlich sein«, erklärte Kordal knapp. »Hilf mir, ihn zu unserem Lager zu bringen und zu fesseln. Ich glaube, er kann uns eine Menge über unsere Feinde erzählen.«
»Ich glaube er, wird uns auch einiges über uns selbst erzählen«, nickte Daavir und hievte sich den bewusstlosen Goblin über die Schulter.
»Wie meinst du das?«, fragte Kordal verwirrt, doch der Südländer gab ihm keine Antwort, sondern deutete lediglich auf Lantuk.
Lantuk stand noch immer vor dem letzten Goblin, den er getötet hatte. Er betastete sein verstümmeltes Ohr. Es war eine grässliche, entstellende Wunde. Die Heiler hatten ihm zwar versichert, dass er großes Glück gehabt hatte, denn der Hieb des Goblins hätte ihn ohne Weiteres auch töten können, doch Lantuk empfand seine Verstümmelung als beinah ebenso schrecklich. Diese Monster hatten ihm nicht nur ein Ohr genommen, sie hatten ihn auch seiner Selbstsicherheit beraubt.
Er hatte bei dem Gefecht eben die Beherrschung verloren. Das Gefühl der Hilflosigkeit, das er noch von der Schlacht um Ma‘vol kannte, war erneut über ihn hereingebrochen, und hatte, gepaart mit seiner unbändigen Wut auf diese Ungeheuer dafür gesorgt. Er hatte sich in diesem Kampf nicht wie ein erfahrener Krieger gebahrt, sondern sich wie ein Foltermeister auf die Goblins gestürzt, sich an ihren Qualen erfreut. Ja, er hatte es genossen, dem Goblin das Ohr abzuschneiden – es hatte ihm einen kurzen Augenblick der Genugtuung verschafft. Doch zu welchem Preis?
Er hatte diesen Goblin nicht bloß getötet, er hatte ihn gequält und regelrecht geschlachtet. Daavir hatte die Wahrheit sofort erkannt: Lantuk drohte, seine Kriegerehre zu verlieren. Die Goblins mochten grausam und ehrlos sein, doch genau darin unterschieden sie sich von ihm. Lantuk kannte die Worte Vergebung und Gnade – für ihn hatten sie eine Bedeutung. Er durfte nicht zulassen, dass sein Schicksal ihn all seine Überzeugungen vergessen ließ. Er schlug sich mit der Faust auf die Brust – eine Ehrbekundung unter Kriegern – und kehrte dann zu Kordal und Daavir zurück.
Kordal hatte dem Goblin gerade die Hände auf den Rücken gefesselt, als das kleine Ungetüm das Bewusstsein wieder erlangte. Der Goblin starrte die beiden Menschen angsterfüllt an und begann, am ganzen Leib zu zittern. Als Kordal sich aufrichtete, versuchte der Goblin zu fliehen, indem er sich mit den Beinen vom Boden abdrückte und auf dem Gesäß über das nasse Gras rutschte. Seine Flucht nahm ein jähes Ende, als er mit dem Rücken gegen Lantuks Beine stieß. Verwirrt schaute der Goblin auf – und blickte auf die funkelnde Spitze eines Kurzschwertes.
»Rühr dich nicht«, warnte Lantuk.
Kordal wusste nicht, ob das kleine Monster tatsächlich verstand, was der Krieger zu ihm sagte, oder ob lediglich das Schwert eine eindeutige Sprache gesprochen hatte. Er ging auf die wimmernde Kreatur zu und blickte sie forschend an: »Kannst du mich verstehen? Sprichst du unsere Sprache?«, fragte er schließlich und sah dem Goblin dabei scharf in die unverändert verängstigten Augen. Der Goblin antwortete nicht. Stattdessen blickte er sich verzweifelt um, suchte anscheinend nach einem Fluchtweg. »Du entkommst uns nicht«, sagte Kordal bestimmt und packte den Gefangenen an der Kehle, drückte sie mit den Fingern zusammen. Der Goblin japste und ergab sich in sein Schicksal. Gegen diese drei gefährlichen Menschen schien eine Flucht ausgeschlossen.
»Sprichst du unsere Sprache?«, wiederholte Kordal.
Der Goblin brachte ein schwaches Nicken zustande.
»Willst du leben?«, fragte Kordal eindringlich. Der Goblin nickte eifriger, und der Krieger ließ von seiner Kehle ab. Gierig sog das kleine Monster die Luft in die Lungen und stieß unter lautem Keuchen immer wieder ein Wort aus: »Leben!«
* * *
Verren nickte kurz, als er sich durch den Eingang des Zeltes schob. Die Plane glitt zurück an ihren Platz und verdeckte den Durchgang völlig, was die beiden Fackeln an der Mittelstange der Konstruktion als einzige Lichtquellen zurückließ.
»Er stellt viele Fragen, dieser Kommandant«, krächzte eine vertraute Stimme aus dem Halbdunkel.
Verren verabscheute ihren Besitzer, Shango Tizir, zutiefst. Der Magier hatte seine Geliebte mit einem Bann belegt, der sie ihm gefügig machte. Und seitdem musste Verren sie mit dem alten Tattergreis teilen. Er hätte sie
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