Das Anastasia-Syndrom
haben Sie mit mir gemacht?« schrie sie. »Was haben Sie mit mir gemacht, während ich in Hypnose war? Warum haben Sie mich nach Margaret Carew gefragt?«
Patel unterbrach sie. »Judith, ich trete gleich den Heimflug an.
Kommen Sie um 14 Uhr in die Praxis. Sie müssen das genaue Todesdatum von Margaret Carew bei sich haben. Kennen Sie es?«
»Ja, aber wozu? Ich will wissen – wozu ?«
»Es hängt mit dem Anastasia-Syndrom zusammen.«
Judith legte auf und schloß die Augen. Das Anastasia-Syndrom. Nein, dachte sie. Das ist unmöglich.
Sie zwang sich, aufzustehen, duschte, zog einen dicken Pullover und Hosen an, machte sich Tee und Toast und schaltete den Fernseher an.
Kurz vor Mittag gab Labour die Niederlage zu. Mit vor Schmerz brennenden Augen sah sie Stephen in der County Hall als Wahlsieger seine Ansprache halten. Er dankte seinen Wahl-helfern und seinen Gegnern für einen fairen Wahlkampf und erhielt stürmischen Beifall. Von dort wurde er nach Edge Barton gefahren, wo ihn eine Schar von Gratulanten erwartete. Er stand auf den Stufen, händeschüttelnd, lächelnd.
Judiths Blick war nun starr auf ihn gerichtet, auf das schöne Haus, das sie sich wieder als Heim auserkoren hatte.
Wieder? fragte sie sich.
Stephen winkte der Menge ein letztes Mal zu und verschwand in Edge Barton. Gleich darauf hörte Judith das Telefon läuten.
Sie wußte, das war Stephen. Mit gewaltiger Anstrengung schaffte sie es abermals, froh und aufgeregt zu klingen. »Ich wußte es, ich wußte es, ich wußte es!« rief sie. »Ich gratuliere, Darling.«
»Ich fahre jetzt nach London. Um 16 Uhr 30 mache ich der Königin meine Aufwartung. Rory wird dich um 15 Uhr 45 abho-len und zu mir bringen. Dann haben wir ein paar Minuten für uns, bevor wir zum Buckingham Palace müssen. Ich wünschte nur, ich könnte dich mitnehmen, aber das wäre nicht die passende Gelegenheit. Wir gehen übers Wochenende nach Edge Barton und geben dann unsere Verlobung bekannt. Ach, Judith, endlich, endlich ist es soweit.«
Tränen strömten ihr über die Wangen, ihre Stimme brach, doch Judith gelang es, Stephen zu überzeugen, daß sie vor Freude weinte.
Als sie den Hörer auflegte, begann sie, die Wohnung zu durchsuchen.
In Scotland Yard hörten sich Commissioner Barnes und Commander Sloane die Bandaufzeichnung des Gesprächs zwischen Judith und Dr. Patel bereits zum zehntenmal an.
Barnes lauschte voll Erstaunen, als Sloane ihm Patels Theorie des Anastasia-Syndroms erklärte. »Menschen aus anderen Epo-chen zurückbringen? Was ist denn das für ein Blödsinn? Aber ist es möglich, daß er Judith Chase hypnotisiert und ihr diese Sprengstoffanschläge suggeriert hat? Wir werden uns mal ein bißchen mit ihm unterhalten, bevor Miss Chase dort erscheint.«
Judith sah erbarmungswürdig aus, als sie in Dr. Patels Praxis eintraf. Aschfahle Lippen. Lodernde Augen in einem totenblas-sen Gesicht. Über dem Arm trug sie das dunkelgrüne Cape, in der Hand eine ausgebeulte Einkaufstasche.
Sie wußte nicht, daß Commissioner Barnes und Commander Sloane sie hinter dem Spionspiegel im Labor beobachteten und mithörten.
»Ich konnte letzte Nacht nicht schlafen«, berichtete sie Dr.
Patel. »Immer wieder bin ich alles durchgegangen, was ungewöhnlich erschien. Wissen Sie was? Ich hatte mich geärgert, weil die Türen des für Lady Ardsley reservierten Kleiderschranks dauernd aufsprangen. Das haben sie aber nicht von allein getan. Jemand hat sie geöffnet. Ich war das. Das hier ist mein Cape. Meines Wissens habe ich es höchstens ein- bis zweimal getragen, und das nur bei gutem Wetter, aber der Saum ist von Schmutz verkrustet. Die Stiefel, die ich dazu trage, sind völlig verschmutzt.« Sie warf beides auf einen Sessel. »Und schauen Sie sich das hier an – Sprengpulver, Drähte. Mit dem Zeug könnte man mühelos selber eine Bombe zusammenba-steln.« Behutsam legte sie das Päckchen auf den antiken Tisch mit dem passenden Spiegel neben der Tür. »Ich habe Angst, dem Ding zu nahe zu kommen. Aber wozu habe ich das alles?
Was haben Sie nur mit mir gemacht? «
»Setzen Sie sich, Judith«, befahl Patel. »Ich habe Ihnen neulich nicht das komplette Videoband von Ihrer Hypnose gezeigt.
Wenn Sie es jetzt sehen, werden Sie das Ganze besser verstehen.«
Im Labor beobachtete Rebecca Wadley die beiden Beamten, die mit ungläubiger Miene die Videoaufzeichnung von Judiths Hypnose verfolgten.
»Bis hierher habe ich es Ihnen schon vorgeführt. Nun kommt der Rest«, erklärte
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