Das Anastasia-Syndrom
Sie, nichts anderes als eine historische Figur, die in Ihrem Buch vorkommt.
Sie werden Ihr Cape, die Stiefel und die Drähte und das Sprengpulver, die Sie mitgebracht haben, zurücklassen. Dies sowie sämtliche Unterlagen über die Angelegenheit werden vernichtet.
Sie werden Sir Stephen Hallett heiraten und sehr glücklich mit ihm sein. Wachen Sie jetzt auf, Judith.«
Sie öffnete die Augen und wollte sich aufsetzen. Patel legte den Arm um sie. »Ganz langsam«, warnte er. »Sie haben eine lange, schwere Reise hinter sich.«
»Es war so grauenhaft«, flüsterte sie. »Ich meinte zu wissen, was man mit diesen Menschen gemacht hat, aber diese Massen-hysterie zu sehen… Für die Leute war es ein Ausflug zu einem Volksfest. Doch nun ist sie tot, Doktor. Sie ist tot. Aber habe ich ein Recht auf Stephen? Ich muß ihm sagen, was geschehen ist.«
»Sie werden sich nicht mehr daran erinnern. Gehen Sie zu Stephen. Teilen Sie ihm alles Notwendige über Ihre Schwester mit.
Dann nehmen Sie mit ihr Kontakt auf. Ich bin felsenfest davon überzeugt – als Ihre Zwillingsschwester muß sie sein wie Sie.«
Tränen rannen ihr über die Wangen. Mit einer ungehaltenen Bewegung wischte sie sie weg und eilte zum Spiegel.
»Judith fängt schon an zu vergessen«, sagte Rebecca Wadley zu den beiden Beamten.
»Sie erwarten doch nicht von uns zu glauben, was wir eben gesehen haben?« fuhr Barnes sie an. »Das gesamte Material wird beschlagnahmt. Wir schicken einen Polizisten her, um si-cherzustellen, daß nichts angerührt wird. Es ist nicht unsere Aufgabe, über Wesen und Inhalt dieses Falles zu entscheiden.«
Sloane beobachtete Judith. Sie legte Lidschatten auf. Er konnte ihr Spiegelbild über dem antiken Tisch sehen. Sie lächelte glückstrahlend. »Ich habe zu lange gebraucht«, sagte sie zu Patel. »Ich darf Stephen nicht warten lassen. Ich fahre mit ihm zum Buckingham Palace, wenn er sich der Königin vorstellt. Vielen Dank, Doktor, daß Sie mir geholfen haben, meine Schwester zu finden.«
Sie winkte ihm zu und entschwand. Sloane überlief es kalt.
An ihrer rechten Hand leuchtete eine rote Narbe. In der gleichen Sekunde registrierte er, daß die Einkaufstasche, die sie auf dem antiken Tisch abgestellt hatte, verschoben worden war. »Sofort raus hier!« brüllte er, riß die Labortür auf – zu spät. Die Bombe explodierte mit einem gewaltigen Knall, verwandelte die Praxis in ein Trümmerfeld, übersät mit Leichenteilen. Flammen loder-ten hoch, griffen auf das ganze Gebäude über – ein Inferno.
Lynch folgte der dahineilenden Gestalt durch die Straßen. Er hörte die Detonation, als er um die Ecke bog, wollte zurücklaufen, merkte dann, daß Judith Chase nicht wie die anderen Passanten innehielt oder auch nur den Kopf in die Richtung drehte.
Sie winkte einem Taxi.
Lynch tat das gleiche und ließ es hinterherfahren. Er zog das schnurlose Telefon aus der Tasche und rief Scotland Yard an.
Judith stieg gerade aus dem Taxi in den vor ihrem Haus war-tenden Rolls-Royce um, als Lnych erfuhr, daß der neueste Sprengstoffanschlag sich Welbeck Street 79 ereignet hatte.
Patels Adresse! Er ließ sich mit Commander Sloanes Büro verbinden. Die Sekretärin teilte ihm mit, Commander Sloane und Commissioner Barnes seien gemeinsam unterwegs zu einem Dr. Patel. Ihr Fahrer? Nein, sie hatten keinen. Sie wollten einen der nicht gekennzeichneten Wagen benutzen.
Nein! dachte Lnych. Sie waren in Patels Praxis, als die Bombe explodierte!
Vor Sir Stephen Halletts Haus drängten sich die Vertreter von Presse und Fernsehen. Es war immer ein historischer Moment, wenn ein neuer Premierminister zur Königin fuhr. Lynch wartete gegenüber, von einem Übertragungswagen der BBC verdeckt.
Ihm war klar, daß hier anscheinend noch niemand von dem Sprengstoffanschlag in Patels Praxis erfahren hatte.
Nach ein paar Minuten fuhr die Limousine langsam ums Haus, parkte am Bordstein. Die dunkel getönten Fenster ver-wehrten den Blick in das Wageninnere.
Lynch war sicher, daß Judith Chase in dem Rolls-Royce saß.
Alles drängte nach vorn, als sich die Haustür öffnete, und Sir Stephen, von Sicherheitsbeamten umringt, erschien. Der Chauffeur stieg aus und stand mit dem Rücken zum Wagen, um den neuen Premierminister zu erwarten.
Lynch erkannte seine Chance. Alle sahen auf das Haus und kehrten dem Rolls-Royce den Rücken zu. Er schlug den Mantelkragen hoch, zog den Hut tief in die Stirn, eilte über die Stra-
ße und öffnete die Wagentür. »Miss
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