Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
um ihn kurz zu erschrecken und seine Aufmerksamkeit zu bekommen und lenken Sie ihn dann darauf um, etwas Erwünschtes zu tun. Denken Sie nicht daran, ihn körperlich zu bestrafen: Denken Sie daran, ihm etwas beizubringen. Ersetzen Sie die heiße, rote Aggression altmodischer Hundeabrichtung durch das ruhige, kühle Wohlwollen von Himmelblau. Es ist eine wunderschöne Farbe.
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P ERSÖNLICHKEITEN
Alle Hunde sind verschieden, aber manche sind verschiedener als andere
Ich schreibe diese Zeilen zehn Minuten nachdem Luke fast gestorben wäre. Ich bin noch überwältigt von dem Entsetzen über das, was beinahe passiert wäre und von der Erleichterung, dass es nicht geschehen ist. Ich kann kaum tippen; meine Finger sind steif und ich beginne zu zittern. Ich kann den Gedanken, dass Luke stirbt, nicht ertragen und die Erkenntnis, dass er vor ein paar Minuten fast einen tragischen Tod gestorben wäre, hat mich getroffen wie ein Schlag ins Gesicht.
Meine Nachbarn brachten Luke nach Hause, nachdem sie ihn etwa einen halben Kilometer vom Hof entfernt auf der Straße gefunden hatten. Er spazierte auf der rechten Spur der Landstraße, die am Hof vorbeiführt. Er war oben auf einem steilen Hügel, der gleich nach einer scharfen Kurve kommt. Die Geschwindigkeit ist hier auf 55 Meilen begrenzt, aber Menschen sind Menschen und viele meiner Nachbarn fahren wesentlich schneller. Die Sicht ist auf diesem Straßenabschnitt schlecht. Mindestens vier- oder fünfmal im Jahr haben Autofahrer hier Zusammenstöße mit Wild und klopfen dann um zwei Uhr morgens bei mir an die Tür, um den Sheriff anzurufen, während ich hinter dem dunklen Bellen von Luke und Tulip aus dem Fenster spähe. An diesem einen Morgen war besonders viel Verkehr auf der Straße, der übliche Berufsverkehr verstärkt von einer ganzen Parade Kieslaster, die zu einer Baustelle und wieder zurück donnerten.
Luke ist elf Jahre alt. Weder er noch ein anderer meiner Border Collies war je in seinem Leben auf der Straße. Ich kann Luke, Lassie oder Pip stundenlang draußen frei lassen (was ich allerdings nicht tue) und sie würden sich auf der Couch zusammenrollen. Ich habe ihnen sorgfältig beigebracht, von der Straße wegzubleiben. Das Training und ihre Persönlichkeit haben dazu geführt, dass sie nie eine Pfote auf die Straße gesetzt haben. Selbst wenn Rehe aus meinem Garten aufspringen und mit ihren blitzenden weißen Hinterteilen über die Straße fliehen, bleiben meine Hunde, die sie gerade verfolgt haben, am Straßenrand stehen. Sie ignorieren Fahrradfahrer, Jogger und Autos. Einmal allerdings bellten sie mit aufgerissenen Augen, als ein Pferd und ein Reiter vorbeikamen. Selbst Tulip hält sich von der Straße fern. Zugegebenermaßen brauchte ich mehrere Jahre, um sie zu trainieren: Sie ist ein Pyrenäenberghund und als solcher für selbstständiges Handeln geboren, und dazu ist sie noch besonders dickköpfig. Trotzdem, solange ich mit ihr draußen bin, bleibt Tulip am Straßenrand stehen, auch wenn sie gerade ein Reh jagt. Nie aber würde ich Tulip draußen alleine frei laufen lassen, denn es könnte sein, dass sie auf Wanderschaft geht und das Risiko ist es einfach nicht wert.
Im Gegensatz zu Pyrenäenberghunden stammen Border Collies von einer langen Reihe von Vorfahren ab, die am Hof blieben und warteten, bis die Arbeit rief – bis zu diesem Morgen, als, so viel ich sagen konnte, Luke von zuhause weglief. Wie gewöhnlich waren Luke und die anderen Border Collies draußen, damit sie wie jeden Morgen ihr Geschäft erledigen konnten, bevor wir in die Scheune zu den Schafen gingen. Ich telefonierte gerade im Büro, als die Handwerker auf den Hof fuhren, um mit ihren Dachdeckerarbeiten weiterzumachen. Sie rissen das alte Dach ab und ersetzten es durch ein neues. Es war ein fürchterliches Projekt, laut und dreckig, und wir alle litten darunter. Acht Stunden am Tag Hämmern ertragen müssen ist schlimm genug, aber es ist besonders störend, wenn es vom Dach Ihrer eigenen Höhle kommt. Um das Ganze noch schlimmer zu machen, hatten wir auch noch eine fürchterliche Hitzewelle mit Temperaturen weit über 30 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit. Die Hitze war so mörderisch, dass bereits einige meiner Lämmer gestorben waren. Die Hunde während der Arbeiten im Auto oder in der Scheune unterzubringen, war also auch keine Alternative. Da ich kaum eine andere Wahl hatte, beschloss ich, zuhause zu arbeiten und zu sehen, ob wir alle damit zurechtkämen.
Als das Gehämmer losging,
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