Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
veranlagt Primaten auch sind, so oft verpassen wir Menschen doch die Signale, die unsere Hunde uns senden. In meinen Seminaren gebe ich beispielsweise eine Demonstration, in der ich meine Border Collie Hündin Pip dafür lobe und streichele, dass sie mir einen Ball zurückgibt. Pip ist mein verschlafener Border Collie, die zwar aus einer reinen Hütehundlinie stammt, aber ein bisschen aussieht wie ein leicht trotteliger Labradormix. Aber sie liebt Bälle für ihr Leben, und zur Belohnung dafür, dass sie mir den Ball zurückgibt, gurre und schnurre ich sie zärtlich an und streichle sie hingebungsvoll über den Kopf. Die Zuschauer reagieren auf meine Bemühungen, Pip zu loben und scheinen sich richtig gut zu fühlen, wenn ich fertig bin. Sie fühlen sich sogar so gut, dass sie mir eine Eins geben, wenn ich sie darum bitte, meine Lobbemühungen zu bewerten. Ich selbst gebe mir allerdings eine Fünf, denn obwohl es dem Publikum gefiel, mein Lob zu sehen und hören, wollte Pip nur eines: den Ball. Ich wiederholte die Übung und sagte den Zuschauern, sie sollten dieses Mal sorgfältig auf Pips Gesicht achten. Ihre Reaktion ist eindeutig, sobald man sich darauf konzentriert. Sie ignoriert meine schmeichelnden Worte, kneift die Augen zusammen, duckt ihren Kopf von meiner Hand weg, drängt nach vorn und starrt den Ball mit Laserblicken an. Pip ist nicht anders als die meisten unserer Hunde, die Lob und Streicheleinheiten in manchen Situationen sehr mögen, in anderen aber nicht. Wie ist es denn bei Ihnen – selbst wenn Sie alles für eine gute Massage geben, möchten Sie eine mitten in einer wichtigen Besprechung bekommen oder in einem spannenden Tennisspiel? Warum um alles in der Welt sollte ein Hund, selbst einer, der das Gestreicheltwerden furchtbar liebt, in allen möglichen Situationen gestreichelt werden wollen? Uns geht es doch nicht anders, egal, wie sehr wir eine Liebkosung mögen.
Sobald die Zuschauer lernen, sich auf Pips Reaktionen zu konzentrieren anstatt auf ihre eigenen, erfassen sie es. Pips Ausweichen vor meiner Hand und offensichtliche Ungeduld, den Ball zurückzubekommen, ist alles andere als unauffällig. Aber aus irgendeinem Grund neigen wir Menschen dazu, nicht auf die visuellen Signale zu achten, die unsere Hunde uns senden. Hunderte von Kunden, die ratsuchend mit ihren Hunden in mein Büro kommen, erklären, die Aggression ihres Hundes sei »aus dem Nichts« gekommen. Und dabei konnte ich deutlich sehen, sogar während die Besitzer zu mir sprachen, dass der Hund ganz klar mitteilte: »Hör auf, mich so zu streicheln. Ich beiße dich, wenn du nicht aufhörst.«
Es ist zu einem Klischee geworden, dass wir Hunde lieben, weil sie uns »bedingungslos positiv gegenüberstehen«. Jeder, der die visuellen Signale von Hunden interpretieren kann, weiß, wie naiv das ist. Wenn Sie eine Gruppe von Hundetrainern zu herzhaftem Lachen bringen möchten, dann beginnen sie von der »bedingungslos positiven Einstellung« der Hunde uns gegenüber zu erzählen. Sie werden schallend lachen und sich auf die Knie klatschen. Mein Border Collie Cool Hand Luke – nobler, treuer Luke, der einmal sein Leben für meins aufs Spiel setzte – hat eine Sorte von Blick, die man nur mit einem bestimmten Wort übersetzen kann. Und dieses Wort lautet nicht etwa Liebe. Luke vergöttert mich, da bin ich ziemlich sicher. Das heißt aber nicht, dass er mich jede Sekunde seines Lebens vergöttert, genauso wenig, wie Sie Ihren Lieblingsmenschen jede einzelne Sekunde Ihres Lebens vergöttern.
Ich denke einige von uns sind der Meinung, dass unsere Hunde uns ständig und vorbehaltlos lieben, weil wir nicht besonders gut darin sind, ihre nonverbale Kommunikation mit uns zu verstehen. Aber sobald Sie beginnen, Ihr Leben mit Hunden zu verbringen, wird sehr klar, dass Liebe nur eine der Emotionen ist, die sie fühlen. Die meisten dieser Signale sind einfach aufzugreifen, wenn wir uns nur die Zeit zum Hinschauen nehmen würden. Viele der von Hunden gesendeten visuellen Signale sind nicht nur auf ihre eigene Spezies beschränkt: Schon 1872 schrieb Charles Darwin über den universellen Ausdruck von Gefühlen bei Tieren, von Ekel über Angst bis zu Drohung. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu sehr verallgemeinern und davon ausgehen, dass jeder Ausdruck auf dem Gesicht eines Hundes einem unserer Gefühle entspricht – ein »Grinsen« kann bei einem Hund Zeichen von Angst sein (das kann es allerdings auch bei einem Menschen), aber genauso
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