Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
den Spiegel, jetzt gleich, wenn es geht. Heben Sie Ihre Mundwinkel nur ein ganz winziges bisschen an und schauen Sie, wie sehr sich das Aussehen Ihres Gesichtes verändert. Beobachten Sie die Gesichter Ihrer Familienmitglieder und denken Sie darüber nach, wie wenig Veränderung darin nötig ist, um Informationen zu übermitteln. Diese Informationen, die wir erhalten, indem wir auf kleine Bewegungen in den Gesichtern und Körpern achten, sind entscheidend in unserer Beziehung zu anderen. Dies ist tief in unserem Primatenerbe verankert. Die Spezies der Primaten ist sehr vielseitig – vom winzigen, kaum mehr als 100 Gramm schweren und sich von Saft ernährenden Krallenäffchen bis hin zum 220 Kilo schweren, Blätter kauenden Gorilla. Aber alle Primaten sind stark visuell und sind in ihren sozialen Interaktionen auf visuelle Kommunikation angewiesen. Paviane heben als leichtes Drohsignal ihre Augenbrauen. Schimpansen ziehen die Lippen zu einer Schmollschnute, wenn sie enttäuscht sind. Rhesusmakaken drohen mit offenem Mund und direktem Anstarren. Sowohl Schimpansen als auch Bonobos strecken die Hände aus, um sich nach einem Streit zu versöhnen. Wir Primaten sind auf visuelle Signale als Grundfundament unserer sozialen Kommunikation angewiesen, genau wie Hunde.
Unsere Hunde sind wie Präzisionsinstrumente auf unsere Körper abgestimmt. Während wir über die richtigen Worte nachdenken, beobachten uns die Hunde auf die feinen visuellen Signale hin, mit denen sie auch untereinander kommunizieren. Jeder Artikel und jedes Buch über Wölfe beschreibt Dutzende visueller Signale, die der Schlüssel zur sozialen Interaktion der Rudelmitglieder sind. In dem Buch Wolves of the World beschreibt Erik Zimen, eine weltweit anerkannte Autorität in Sachen Wolfsverhalten, fünfundvierzig Bewegungen, die Wölfe bei sozialen Interaktionen gebrauchen. Zum Vergleich erwähnt er Stimmäußerungen nur dreimal. Das heißt nicht, dass Winsel- oder Knurrlaute für die sozialen Beziehungen von Wölfen nicht entscheidend wichtig wären. Sie sind es. Aber die Bandbreite visueller Signale von leichtem Kopfheben über Vor- oder Zurückverlagern des Gewichtes bis hin zu An- oder Entspannen des Körpers ist bei Wölfen riesig, und jede Interaktion, die ich je mit Hunden hatte, legt nahe, dass visuelle Signale bei Hunden zur Kommunikation ebenso wichtig sind.
Hier haben wir also nun zwei Spezies, Mensch und Hund, die einiges gemeinsam haben: Sie sind beide sehr visuell veranlagt, sehr sozial und programmiert, darauf zu achten, wie sich jemand in der eigenen sozialen Gruppe bewegt, auch wenn die Bewegung nur winzig ist. Was wir aber scheinbar nicht gemeinsam haben ist, dass Hunde viel stärker auf unsere winzigen Bewegungen achten als wir selbst. Das macht Sinn, wenn Sie einmal darüber nachdenken. Während sowohl Hunde als auch Menschen automatisch auf die visuellen Signale der eigenen Spezies reagieren, müssen Hunde noch zusätzliche Energie aufwenden, um die Signale eines Fremden zu übersetzen. Außerdem erwarten wir ständig von unseren Hunden, dass sie tun, was wir ihnen sagen – also haben sie zwingende Gründe, sich mit der Übersetzung unserer Bewegungen und Haltungen zu befassen. Es ist aber auch sehr zu unserem Vorteil, wenn wir stärker darauf achten, wie wir uns in der Gegenwart von Hunden bewegen und diese sich in unserer, denn ob wir es merken oder nicht, wir kommunizieren die ganze Zeit über mit unserem Köper. Sicher wäre es nicht schlecht, wenn wir wüssten, was wir sagen.
Sobald Sie lernen, sich auf die visuellen Signale zwischen Ihnen und Ihrem Hund zu konzentrieren, werden die Auswirkungen selbst winzigster Bewegungen überwältigend offensichtlich. Es ist wirklich nicht anders als in jedem Sport, in dem Sie Ihren Körper darauf trainieren, sich auf Wunsch auf ganz bestimmte Weise zu bewegen. Alle Athleten müssen sich dessen bewusst werden, was sie mit ihrem Körper tun. In der Hundeausbildung ist es das Gleiche. Professionelle Hundetrainer wissen ganz genau, was sie mit ihren Körpern tun, während sie mit einem Hund arbeiten. Für die meisten Hundebesitzer, deren Hunde ununterbrochen versuchen, aus dem Durcheinander der übermittelten Signale schlau zu werden, trifft das nicht zu.
Hunde scheinen in ihrer wachen Aufmerksamkeit auf unsere kleinsten Signale nie nachzulassen. Als ich meinen Hunden das »Sitz« beibrachte, verschränkte ich unabsichtlich meine Hände in Hüfthöhe. Anscheinend machte ich diese Bewegung,
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