Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
gesamte Gruppe aufgemischt hatte. Schimpansen und Bonobos sind außerdem verrückt aufs Küssen, sie küssen sich, wenn sie aufgeregt sind, zur Versöhnung nach sozialen Spannungen oder Kämpfen und zur Begrüßung nach Abwesenheit. Wie viele von uns können nicht widerstehen, ihren Hund zu küssen?
Andere Primaten wie Paviane und Gorillas umarmen sich nicht so häufig wie Menschen, Schimpansen und Bonobos, aber eng befreundete Paviane schlingen als Zeichen der gegenseitigen Zuneigung die Arme umeinander und Gorillas verbringen viel Zeit mit körperlichem Kontakt. Bei allen Affenspezies verbringen Mutter und Kind viel Zeit mit gegenseitigen Umarmungen, die Jungen wachsen während eines Großteils ihrer frühen Jahre in Bauch-zu-Bauch und Gesicht-zu-Gesicht Kontakt auf.
Meiner Erfahrung nach sind die Individuen mit dem stärksten Wunsch nach Umarmen und Streicheln eines weichen, lebenden Dinges junge Mädchen und Kinder im Alter zwischen etwa drei und fünf Jahren. Ich habe mit Dutzenden von Familien gearbeitet, in denen süße junge Mädchen angeknurrt, geschnappt oder ins Gesicht gebissen wurden (Gottseidank meistens nicht schlimm), wenn sie ihre Arme um den Hund schlangen. Wie alle jungen weiblichen Primaten sehnen sie sich nach Knuddeln und Berühren. Während sie aber warme, liebevolle Gedanken hegten, interpretierten die Hunde ihre Umarmung als eine grobe, drohende Machtdemonstration.
Denken Sie bitte nicht, dass ich einen schnappenden oder beißenden Hund rechtfertigen möchte. Alle meine Hunde tolerieren typisches Primatenverhalten, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Vor kurzem umarmte eine Dame, die meinen Hof besuchte, Luke so kräftig um den Hals, dass seine Augen buchstäblich hervorzuquellen begannen, bevor ich sie stoppen konnte. »Guter Junge, guter Junge« säuselte ich, während ich mich beeilte, ihn aus dem Schwitzkasten zu befreien. Er drehte den Kopf und sah kreuzunglücklich aus, aber er versuchte nicht einmal, zu entkommen.
Nicht alle Hunde sind so tolerant. Genau wie bei Menschen gibt es unter ihnen verschiedene Persönlichkeiten und verschiedene Lernerfahrungen, und wir können nicht von allen Hunden erwarten, dass sie so höflich sind, wie wir uns das von allen Menschen wünschen (die es oft auch nicht sind).
Die einzige Gelegenheit, bei der Hunde sich »umarmen« ist, wenn der Rüde die Hündin bei der Paarung umklammert oder wenn ein Hund (männlich oder weiblich) einen anderen als Dominanzgeste oder im Spiel mit bekannten Hunden besteigt. Wenn ein Hund einem anderen in den ersten Sekunden der Begrüßung eine Pfote über den Hals legt, bewegt er sich über die sozial akzeptablen Grenzen guter Hundemanieren hinaus. Ein »Pfotenübergriff« ist der Vorläufer zum »darüber Stehen« in der Hundeethologie, er wird im Kontext der Erstellung einer sozialen Hierarchie angewandt. Manchmal sehe ich Hunde, die es in den ersten Minuten der Begrüßung tun, das sind nicht unbedingt die höflichen. Ich vermute, dass es in der Gesellschaft der Caniden ungefähr so grob ist wie für uns, jemanden zur Seite zu schubsen, um vor ihm durch die Tür zu kommen. Wenn Hunde sich kennen, tun sie es im Spiel natürlich immer wieder, aber erst, nachdem sie sich angefreundet und gegenseitig zu verstehen gegeben haben, dass sie spielen wollen – genau wie Rugbyspieler auf dem Spielfeld miteinander Dinge tun, die sie sonst nie tun würden.
Die Zahl der Menschen, die keine Ahnung zu haben scheinen, wie Hunde ihr Verhalten interpretieren, scheint erschreckend hoch zu sein. Vor kurzem sah ich, wie mein Lieblings-Fernsehtalkmaster David Letterman in seiner Sendung von einem Hund gebissen wurde. Er beugte sich nach vorn, schaute dem Hund direkt in die Augen, umfasste das Gesicht des Hundes zu beiden Seiten mit den Händen und näherte ihm sein eigenes Gesicht bis auf wenige Zentimeter an. Völlig zufällig trat er dem Hund dann noch auf den Schwanz. Aber der primäre Auslöser war gar nicht das Auf-den-Schwanz-treten, wie Letterman annahm. Noch vor dem Biss sah ich voller Panik zu, wie seine Augen sich immer mehr den Hundeaugen näherten, mein Herz raste im Bewusstsein des Unausweichlichen, das gleich geschehen musste. Ich war so besorgt, dass er gebissen würde, dass ich in meinem Bett auf- und abhüpfte und wie ein Idiot in den Fernseher schrie – als ob mich jemand hätte hören können. Für einen untrainierten Menschen, der einfach nur ein Mensch war, war es eine nette und freundliche Geste, dem Hund
Weitere Kostenlose Bücher