Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
später in einem Tierpark gefunden und brachte die Tierpfleger genauso wie die Wildtierspezialisten zum Staunen, wie ein Tier, das aussah wie eine afrikanische Antilope, in den Vorstädten von Milwaukee überlebt haben konnte.
Die Barbados Schafe waren vom Prüfungsgelände geflohen, weil sie so sensibel auf Druck reagieren – sensibler als die weißen Wollschafe, was die Hunde und Hundeführer nicht gewohnt waren. Üben Sie ein bisschen zu viel Druck auf eine Herde Barbados aus, und Sie sehen sie vermutlich nie wieder. Ich kenne kein Tier, das Sie dieses so wichtige Konzept vom Druck besser lehren könnte, auch wenn Ihr Hund das vielleicht schon die ganze Zeit über versucht hat.
Druck hat auch etwas mit Raum zu tun und damit, wie nahe genau Sie einem Tier kommen müssen, um zu beginnen, sein Verhalten zu beeinflussen. Außer den Weg nach rechts und links zu blockieren müssen Hunde auch den rasierklingenschmalen Grat zur Fluchtdistanz der Schafe herausfinden, denn wenn sie diese Grenze zu weit überschreiten, bringen sie die Schafe entweder dazu, sich umzudrehen und zu kämpfen oder über Ihren gerade neu errichteten Zaun zu springen. Diese Aufgabe ist immer eine große Herausforderung, weil der »Druckpunkt« sich ständig ändert – je nach Tag, Schafen und Wetter. Ein guter Hütehund mit angeborenem Sinn für das richtige Maß an Druck ist nicht mit Gold aufzuwiegen, denn er kann die Schafe oder Rinder bewegen, ohne eine wilde Flucht oder einen Kampf zu verursachen. Er treibt die Herde ruhig dahin, wo Sie sie haben möchten. Die besten von ihnen lassen das so einfach aussehen, dass Sie sich möglicherweise fragen, warum man um diese Sache eigentlich so ein Aufhebens macht. Bis Sie einem Hund ohne das nötige Feingefühl zusehen, der sich zu schnell bewegt und die Herde in Panik versetzt. Das ist im Umgang mit Ihrem Hund genauso wichtig wie im Umgang mit Schafen. Gute Hundetrainer wissen alles über Druck, während die schlechten Druck missbrauchen und Schwierigkeiten verursachen, die hätten vermieden werden können.
Auch Sie sind sich des Druckes bewusst, wenn Sie mit Ihrer eigenen Spezies umgehen. Die meisten menschlichen Primaten wissen, wie viel Druck sie auf jemandes persönlichen Raum, den Individualbereich ausüben können, ohne beim Gegenüber Stress auszulösen. Wir alle wissen, wie sich das von der anderen Seite aus anfühlt: Wenn jemand uns zu nahe kommt, treten wir gewöhnlich ein paar Schritte zurück. Der andere muss uns nicht einmal berühren, damit wir seine Präsenz fühlen und in uns der Wunsch nach mehr Distanz entsteht. Der Unterschied zwischen einer angenehmen sozialen Distanz und einer unangenehmen kann sehr klein und in Zentimetern (oder Millimetern) messbar sein. Genauso verhält es sich zwischen Ihnen und Ihrem Hund oder einem Hütehund und den Schafen. So, wie der Druckpunkt von Schafherde zu Schafherde variiert, variiert er auch von Mensch zu Mensch, je nach Persönlichkeit und kulturellem Hintergrund – und genauso von Hund zu Hund.
Sehr gute Hundeführer wissen genau, wie weit sie sich nach vorn lehnen müssen, um auf den jeweiligen Hund, mit dem sie gerade arbeiten, Druck auszuüben. Kehren wir noch einmal zu dem »Bleib«-Beispiel zurück. Wenn Tulip bleiben soll und beginnt, aufzustehen und sich zu meiner Linken nach vorn zu bewegen, bewege ich mich selbst nach links, um ihr den Weg zu versperren und ihre Vorwärtsbewegung zu stoppen. Aber genau in dem Moment, in dem sie innehält, höre ich mit dem Vorlehnen auf und »nehme den Druck weg«, indem ich mich wieder aufrichte. Genauso, wie ich sie für das Aufstehen aus dem »Bleib« blocken muss, muss ich sie für das Zurückgehen belohnen und keinen weiteren Druck ausüben. Das Lernen dieser Interaktion zwischen Ihnen und Ihrem Hund, dieses Vor- und Zurückverlagern des Gewichtes braucht etwas Zeit, genauso wie jeder Sport oder jeder Tanzschritt. In meinem Büro scheint es, dass die Menschen leicht lernen, wie man Druck ausübt, aber sie gehen anfangs fast immer zu weit oder nehmen den Druck nicht schnell genug wieder fort. Sie können mit Menschen und mit Hunden üben, aber bevor Sie mit dem Ausüben von Druck beginnen, sollten Sie den Hund gut kennen. Zwar ist jeder Hund eine einmalige Kombination von Genetik und Lernen, aber genau wie Menschen passen die meisten Hunde in bestimmte Kategorien. Manche leicht trottlige, sozial ignorante Hunde rennen Sie über den Haufen, egal, wie exakt Sie im rechten Moment auf sie
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