Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
Ihrem Hund spielen, hat weitgehende Auswirkungen. Die sicherste Art und Weise, mit Ihrem Hund zu spielen, sind Fangspiele, mentale Spiele wie Verstecken (eine tolle Methode, um einen erwachsenen Hund zu beschäftigen, während man das Abendessen vorbereitet), Unterscheidungsspiele (»Los, hol den großen Kauknochen«) und das Einüben von harmlosen, fröhlichen Tricks. Überlassen Sie die Kampfspiele gut zueinander passenden Individuen der gleichen Spezies, damit die Spielstunden mit Ihrem Hund immer in Spaß und Lachen enden und nie in Tränen und gebrochenen Herzen.
Gestern Abend kam Edgar, ein erwachsener Rauhaardackel, zu Besuch. Innerhalb von zwanzig Sekunden hatte seine Nase einen verirrten Tennisball unter dem Sofa lokalisiert. Er begann zu scharren und zu winseln, völlig besessen davon, die filzige goldene Kugel hervorzubekommen. Wir zeigten ihm Kauknochen, Seilspielzeuge, interaktive Gummispielzeuge und wer weiß was noch alles. Er wollte den Ball. Später an diesem Abend schaltete ich die Regionalnachrichten im Fernsehen ein. Dem Schicksal von Golfbällen, Baseball-Bällen und Basketbällen wurde exakt genauso viel Sendezeit eingeräumt wie dem Weltfrieden, dem Hunger in der Welt und Krankheitsepidemien. Kein Wunder, dass wir Hunde so mögen. Niemand sonst kann unsere Ballverrücktheit so gut verstehen.
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R UDELGEFÄHRTEN
Das soziale Wesen von Menschen und Hunden
Calvin, der kleine weiße Flauschball auf dem Schoß meiner Kundin, war aus dem Zoofachgeschäft zu Mary nach Hause gekommen, als er fast sieben Monate alt war. Er hatte die ersten sechs Wochen seines Lebens in der Welpenfabrik eines Massenzüchters verbracht. Er wurde zusammen mit seinen Wurfgeschwistern in einem engen Drahtkäfig geboren und verließ ihn nie bis zu dem Tag, als er an das Zoogeschäft geliefert wurde. Die nächsten fünf Monate verbrachte er in einem weiteren Käfig, mit dem Unterschied, dass dieser jeden Tag saubergemacht wurde. Von einer Glasscheibe zwischen ihm und den Menschen vor Keimen geschützt, hatte er selten mit irgendjemand anderem als den Angestellten des Zoogeschäftes Umgang und er lernte nie andere Hunde kennen außer dem Bruder und der Schwester, die mit ihm gekommen waren. Gelegentlich, aber nicht regelmäßig, ließ ihn eine hundeliebende Angestellte nach Ladenschluss zum Spielen hinaus. Als meine Kundin Mary ihn fand, lag er alleine zusammengerollt da, seine Geschwister waren schon verkauft – zwei große braune Augen in einem Meer von Haaren.
Um Mary war es im gleichen Augenblick geschehen. Kürzlich erst geschieden, war sie einsam und müde. Der Anblick des kleinen Calvin, unglaublich niedlich und verzweifelt rettungsbedürftig, drückte bei ihr alle Knöpfe. Mary brauchte jemand zum Retten, weil sie selbst gerettet werden wollte. Sie wollte etwas zum Kuscheln und Streicheln. Calvin brauchte dringend Rettung aus seiner traurigen, einsamen Existenz. Man könnte meinen, die beiden müssten das perfekte Paar ergeben haben, aber in diesem Fall verwandelte sich das Leben zur Hölle.
Ich frage alle meine Kunden, welches das Hauptproblem mit ihrem Hund ist, wenn sie zu mir kommen, aber Calvins Besitzern fiel es schwer, sich nur auf eins zu beschränken. Ihr süßer kleiner Hund, inzwischen drei Jahre alt, urinierte und kotete in seinen Käfig, ins Bett und ins ganze Haus. Jeden Abend, wenn Mary von einem harten Arbeitstag nach Hause kam, musste sie Calvin baden und den Käfig auswaschen, der mit Kot und Urin verschmiert war. Aber das war nur eins der Probleme. Calvin hatte auch panische Angst vor Fremden und hörte nicht auf zu kläffen, wenn Mary Besuch hatte. Mit dem Älterwerden war sein Bellen drohender geworden, und letzten Monat hatte er nach dem Knöchel von Marys Nachbarin geschnappt. Es war kein schlimmer Biss, aber letzte Woche hatte er es wieder getan, und diesmal war Blut geflossen.
Sein Verhalten war so störend, dass Mary in letzter Zeit nicht viel Gesellschaft hatte und sich immer mehr auf Calvin verließ, um ihr Bedürfnis nach sozialem Kontakt zu stillen. Aber langsam begann sie, ihre menschlichen Freunde zu vermissen, und, was noch schlimmer war, Calvin begann auch ihr gegenüber, sich aggressiv zu verhalten. Bevor sie ihren wenigen Besuchern die Tür öffnete, hatte sie sich angewöhnt, ihn hochzuheben, und beim letzten Mal hatte er dabei nach ihr geschnappt. Er schlief auf Marys Bett und knurrte sie neuerdings an, wenn sie ihn nachts versehentlich schubste. Einmal hatte er sie sogar in
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