Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
Vermutlich war es besser, sich diesen Männern nicht zu zeigen. Elisabeth wendete das Pferd und trieb es zwischen die Bäume zurück. Wieder erhellte ein Blitz den Himmel. Der Donnerschlag ließ sie und das Pferd zusammenzucken.
Nun mischten sich harte Eiskristalle unter die Schneeflocken, die auf sie herabprasselten und ihr schmerzhaft ins Gesicht schlugen. Elisabeth verließ die Straße und lenkte das Pferd hinter den dicken Stamm einer Eiche. Wenn sie sich ruhig verhielten, bis die Männer sie passiert hatten, würden diese sie sicher nicht bemerken.
Der nächste Blitz, der irgendwo draußen auf dem freien Feld niederging, ließ das Pferd den Kopf hochwerfen. Es rollte ängstlich mit den Augen und wich zurück.
»Nein! Bleib hier. Es ist alles in Ordnung. Du musst dich nicht ängstigen.« Ihre beruhigenden Worte gingen in dem Donnerschlag unter. Es kostete Elisabeth alle Mühe, das Pferd wieder hinter den Baumstamm zu dirigieren. Die Reiter mussten das freie Feld bald überwunden haben. Schnee und Eisschauer peitschten nun in Wogen herab. Dazwischen konnte Elisabeth die Männer sich vorankämpfen sehen.
»Nur ruhig. Gleich haben sie uns passiert, und dann können wir unseren Weg fortsetzen«, wisperte sie dem Pferd zu, dessen Ohren nervös spielten. Unruhig trippelte es auf der Stelle.
Das Zischen fuhr Elisabeth durch Mark und Bein. Sie hatte das Gefühl, ihre Haare würden zu Berge stehen und ihr Herz einfach aussetzen. Gleißende Helligkeit und ein Dröhnen, das die Erde unter ihren Füßen beben ließ, als würde sie bersten. Elisabeths Geist hatte den Strahl kaum erfasst, der einen Baum nur wenige Dutzend Schritte von ihr entfernt spaltete, da raste das Pferd mit panischem Wiehern davon. Elisabeth zog die Zügel an und stemmte ihre Sohlen gegen die Steigbügel, doch das Tier war nicht bereit, auf seine Reiterin zu hören. Sein Instinkt befahl ihm die Flucht. Und auf ihn allein war es in diesem Moment bereit zu hören. Es reckte sich in die Länge, Hals und Kopf gesenkt, und rannte hinaus aufs freie Feld. Elisabeth wurde fast aus dem Sattel geschleudert. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich in die Steigbügel zu
stellen und sich nach vorne zu beugen, die Arme zu beiden Seiten an den Hals des Pferdes gepresst, ihr Gesicht dicht an seiner Mähne.
So jagten sie durch den Sturm, während um sie herum die Blitze über den Himmel flackerten und der Donner grollte. Als sie sich dem gegenüberliegenden Wald näherten, wurde das Pferd langsamer, und Elisabeth wandte sich im Sattel um. Ihr Herz drohte erneut stehen zu bleiben. Die Reiter hatten sie nicht nur erspäht. Sie hatten trotz des Gewittersturms ihre Pferde gewendet und ritten ihr hinterher. Einer von ihnen war weit voraus und musste sie bald einholen. Die anderen waren zwar zurückgefallen, folgten aber gleichfalls im Galopp.
Nun war es Elisabeth, die ihr Pferd antrieb. Was konnten die Geharnischten von ihr wollen? Jedenfalls ganz sicher nicht Gutes!
»Schneller! Nun lauf schon, bitte, mach schneller«, flehte sie das Tier an, das sich noch einmal mühte, weit auszugreifen. Sie ritten noch immer auf die vor ihnen aufragenden Bäume zu. Sollte sie ins Unterholz reiten und hoffen, dort ein Versteck zu finden, oder besser am Waldrand entlang?
Das Pferd nahm ihr die Entscheidung ab, zog nach rechts und sprang über einen verschneiten Graben, sodass Elisabeth beinahe das Gleichgewicht verlor. Sie hatte sich gerade wieder gefangen, als wieder ein Blitz in der Nähe herabfuhr und das Pferd aufschreckte. Es schlug einen Haken und raste nun um einen Ausläufer des Waldes herum, wandte sich wieder nach Westen und sprengte in ein von kahlen Obstbäumen bestandenes Tal hinab. Das Pferd wandte sich mal nach links, mal nach rechts. Schneebedeckte Zweige peitschten Elisabeth ins Gesicht. Zweimal gelang es ihr, sich unter einem Ast hindurchzuducken. Beim dritten Haken jedoch schoss das Pferd unter einem sehr niedrigen Ast hindurch, der Elisabeth an der Schläfe traf. Sie hörte den Schlag und spürte, wie sie fiel. Sie fühlte den kalten Schnee, der um sie herum aufstob. Ihr Blick
erfasste die Huftritte, die ihr Pferd im Schnee zurückgelassen hatte, und dann ein riesiges Streitross, das schlitternd vor ihr zum Halten kam und sie mit noch mehr Schnee überhäufte. Der Ritter sprang aus dem Sattel und stürzte zu ihr. Wieder zischte in der Nähe ein Blitz herab. Das Pferd bäumte sich auf, riss seinem Herrn aber nicht die Zügel aus der Hand.
»Ruhig! Ganz ruhig!
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