Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
ausschickt?«
Elisabeth nickte. Beide schwiegen lange, dann drehte er sich um und nickte ihr zu. »Es kann niemals schaden, wachsam zu sein.«
Sie senkte das Haupt. »Ich werde mir Euren Rat zu Herzen nehmen.«
Kapitel 29
W achsam war sie, oh ja. Elisabeth war so aufgeregt, dass sie die nächsten Nächte kaum schlief, doch es ereignete sich nichts Ungewöhnliches. Oder hatte sie die Gelegenheit nur nicht erkannt?
Es war ein klarer, sonniger Tag im Februar, als ihr Bewacher vorschlug, einmal über die Brücke vor die Burg zu spazieren. Das Tor stand weit offen, Schneereste glitzerten in der Sonne. Wie herrlich! Erst als die Burg in ihrem Rücken lag und sie über das weite Land blickte, fühlte sie, wie sehr ihr die Freiheit gefehlt hatte. Elisabeth atmete tief durch und schritt weit aus.
»Ihr habt aber einen ordentlichen Schritt«, bemerkte der junge Wächter, der entspannt neben ihr herging. Ein Schwert steckte in seiner Scheide, ein Messer hing auf der anderen Seite an seinem Gürtel.
Als sie sich auf dem Rückweg wieder dem Tor näherten, erschallte ein Ruf vom Wehrgang. »Gilg, eile dich! Komm rasch her!«
Der junge Mann sah zur Mauer hoch, dann zu Elisabeth. »Dann ist unser Spaziergang nun zu Ende. Darf ich Euch bitten, Euch zu beeilen?«
War das der ersehnte Augenblick?
»Ach, lasst mich noch ein wenig hier draußen die Sonne und die Weite des Ausblicks genießen«, bat sie. »Lauft ruhig hinein. Ich will Euch nicht zur Last fallen. Und dann holt Ihr mich wieder ab. Bitte, es schaudert mich davor, an diesem herrlichen Tag schon wieder in meine düstere Kammer eingeschlossen zu werden.«
Der junge Wächter zögerte einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, Fräulein, das geht auf keinen Fall. Ich würde großen Ärger bekommen. Ihr müsst mir folgen, und bitte rasch.«
Was blieb ihr anderes übrig, als ihm zu gehorchen? Als sie aber das Tor durchschritten, hielt Gilg inne.
»Ich denke, es wäre nicht so schlimm, wenn Ihr so lange, bis ich wiederkomme, im Hof noch ein wenig auf und ab gehen würdet.«
Elisabeth nickte ein wenig abwesend und versuchte nicht zum Bergfried hinüberzusehen, obgleich er ihren Blick wie magisch anzog.
Da stand ein Pferd. Gesattelt und aufgeschirrt, zwei lederne Taschen zu beiden Seiten und eine zusammengerollte Decke hinter dem Sattel. Richtig, ein Bote war vor wenigen Minuten durch das Tor geritten. Sicher eine wichtige Botschaft, die er rasch überbringen musste. Das Pferd zu versorgen war später noch Zeit.
Vorsichtig ließ Elisabeth den Blick schweifen. Gilg war verschwunden, und auch sonst war keine Menschenseele im Hof zu sehen. Merkwürdig. Äußerst merkwürdig! Konnte das ein Zufall sein? Ganz egal, es war eine Chance!
Elisabeth raffte die Röcke und eilte zu dem Pferd. Sie band es los, führte es zur Treppe, erklomm die zweite Stufe und schwang sich von da aus in den Sattel. Sie nahm die Zügel in die Hand und drückte dem Wallach die Fersen in die Flanken. Gemächlich zockelte er los. Nun, vielleicht war es ganz gut, keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. So ritt sie im Schritt durch das Tor und über die Brücke. Sie war so angespannt, dass sie meinte, ihr Kopf müsse bersten. Gleich würde es vorbei sein, würden sich die Wächter auf sie stürzen und sie vom Pferd zerren. Elisabeth hielt die Luft an, doch nichts geschah. Niemand rief sie an. Niemand versuchte sie aufzuhalten.
Kaum hatte Elisabeth die Brücke hinter sich gelassen, drückte sie noch einmal die Fersen zusammen. In flottem Trab lief das Pferd den von braunen Schneeresten bedeckten Weg hinunter, den unzählige Hufe und Karrenspuren zerfurcht hatten. Erst als die Burg hinter einer Biegung verschwand, wagte Elisabeth wieder zu atmen. Ja, es war ihr gar, als müsse sie laut jauchzen. Sie war entkommen!
Vor Freude drückte sie das Pferd in die linke Flanke, dass es mit einem Wiehern in den Galopp fiel und den langgezogenen Hügel hinabsprang.
Am Abend zogen Wolken auf. Elisabeth hatte prall gefüllte Satteltaschen vorgefunden, und auch die Decke schien dick und warm, sodass sie beschloss, um Nürnberg einen Bogen zu schlagen und die Nacht lieber in einer Scheune zu verbringen. Denn Geld besaß sie bis auf ein paar Pfennige keines. So ritt sie in den zunehmend dunkler werdenden Abend hinein, bis sie fand, wonach sie suchte. Eine Scheune auf freiem Feld, weit weg von der Behausung der Bauernfamilie – ein Ort, an dem kein Hund sie aufstöbern würde und kein Bauer
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