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Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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blieb Holland auf dem alten Kurs: Reklameflugzeuge meldeten, daß nur Jesus Frieden bringe und man zum Entwickeln von Farbfotos in die Kalverstraat Nummer soundsoviel gehen müsse. Auf dem Dach eines parkenden Möbelwagens saßen zwei verwegene Fünfzehnjährige mit ihrer eigenen Interpretation des Friedensmarsches:
    DIE ERSTE BOMBE AUF WASHINGTON!
    (Man hüstelte mit Unschuldsmiene in die hohle Hand, aber es gab auch russische Transparente mit der Aufschrift MOCKBA.) Anton beobachtete, daß der Demonstrationszug in den Seitenstraßen immer wieder von anderen Demonstrationszügen gekreuzt wurde, manchmal sogar an zwei Stellen gleichzeitig, und dachte, unglaublich, was hier im Gange ist. Sogar innerhalb eines Blocks gab es Verschiebungen und Richtungswechsel, immer wieder sah er andere Menschen um sich herum. Mitten auf der Stadhouderskade wurde er plötzlich von einer Gruppe schwarzer, maskierter Gestalten zur Seite gedrückt, die sich fluoreszierende Skelette auf die Anzüge gemalt hatten und nun mit ihren Rasseln behende einen Weg nach vorn bahnten: mittelalterliche Pestkranke. Er stieß mit jemandem zusammen und entschuldigte sich, es war die Frau, die ihn schon vorhin angestarrt hatte. Sie lächelte unsicher. »Toni?« fragte sie zögernd. »Kennst du mich noch?«
    Er sah sie überrascht an: eine kleine Frau von ungefähr sechzig Jahren mit fast weißen Haaren und sehr hellen, etwas hervorstehenden Augen hinter dicken Brillengläsern.
    »Sie werden entschuldigen… ich weiß im Moment nicht…«
    »Karin. Karin Korteweg. Das Nachbarmädchen aus Haarlem.«

3
    Blitzschnell alterte die große, blonde Frau aus ›Niegedacht‹ zu dem Frauchen neben ihm. Das war das erste. Das zweite war seine Ratlosigkeit.
    »Wenn du nicht mit mir reden willst, mußt du es sagen«, sagte sie schnell. »Dann geh ich sofort wieder.«
    »Nein… ja…«, stammelte er. »Ich muß nur eben… Das überrumpelt mich.«
    »Ich habe dich schon eine ganze Weile beobachtet, aber wenn wir nicht zusammengestoßen wären, hätte ich dich nie angesprochen. Wirklich nicht.« Entschuldigend schaute sie zu ihm auf.
    Anton versuchte, seine Beherrschung wiederzufinden, und einen Moment lang zitterte er. Der verfluchte Kriegsabend war unverhofft wieder aufgetaucht, wie ein dunkler, kühler Schatten, der an manchen Sommertagen am Meer plötzlich über den Strand gleitet.
    »Nein, laß nur«, sagte er. »Wenn wir nun schon mal nebeneinander gehen…«
    »Es sollte wohl so sein«, sagte sie und nahm eine Zigarette aus der offenen Packung in ihrer Tasche. Mit vorgehaltener Hand schützte er die Flamme, die sie in ihre Zigarette zu saugen schien, wobei sie ihn kurz ansah. »Ausgerechnet bei diesem Friedensmarsch…«
    Es sollte wohl so sein – mit finsterem Blick steckte er das Feuerzeug in die Tasche und dachte: Aber daß Ploeg vor eurem Haus lag, sollte wohl nicht so sein. Er fühlte das alte Gift in sich aufsteigen, das nicht abzubauende Gift. Als hätte es so sein sollen, daß er vor unserem Haus lag. Schritt für Schritt ging er neben ihr her. Er ekelte sich. Er hätte einfach gehen können, aber er wußte auch, daß die Frau neben ihm wahrscheinlich in noch größeren Nöten war als er selbst.
    »Ich habe dich gleich erkannt, vorhin«, sagte Karin. »Du bist genauso groß geworden wie dein Vater, und genauso grau, aber irgendwie hast du dich auch überhaupt nicht verändert.«
    »Das höre ich öfter, aber ob das ein gutes Zeichen ist, weiß ich nicht.«
    »Ich habe immer gewußt, daß ich dich eines Tages treffen würde. Wohnst du in Amsterdam?«
    »Ja.«
    »Und ich seit ein paar Jahren in Eindhoven.« Als er schwieg, fragte sie: »Was machst du beruflich, Toni?«
    »Ich bin Anästhesist.«
    »Wirklich?« fragte sie überrascht, als hätte sie sich schon immer diesen Beruf für ihn gewünscht.
    »Ja, wirklich. Und du? Immer noch Krankenschwester?«
    Der Gedanke an ihr eigenes Leben schien sie zu bedrücken.
    »Schon lange nicht mehr. Ich habe viele Jahre im Ausland gelebt und mit schwierigen Kindern gearbeitet. Hier dann später auch noch eine Weile, aber jetzt lebe ich von der Fürsorge. Meine Gesundheit, weißt du…« Und plötzlich, wieder ausgelassen: »War das deine Tochter, das Mädchen, mit dem du dich gerade unterhalten hast?«
    »Ja«, sagte Anton widerwillig. Er hatte das Gefühl, daß sie mit diesem Teil seines Lebens (den es eher trotz ihr als dank ihr gab) nichts zu tun hatte.
    »Sie ähnelt deiner Mutter, weißt du das? Wie alt ist sie

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