Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
gemacht haben, was ich vermute, so scheint es nicht nach Plan verlaufen. Die Zeremonie dient dazu, ihm seine Geheimnisse zu entlocken. Stattdessen hat er ihre erfahren.“
Der Schluss, den Sen daraus zog, traf ihn mit der Wucht eines Hammers.
„Dieser Dummkopf versucht es auf eigene Faust!“
„Bei allen Göttern. Wir müssen ihn finden!“
„Keine Sorge, mein lieber Arundhavi. Wir wissen, wohin er geht. Auf den Gipfel des Unaussprechlichen.“
Kapitel 63
„Ist er das?“
Majorie Nemsky verlieh ihrer Stimme einen weihevollen Ton und betrachtete das Auge der Dunkelheit, als handele es sich dabei um den Beweis für die Existenz Gottes. Kavenay legte seine Hände auf den Ziegenkopf-Griff seines Gehstockes und stützte das Kinn obenauf.
„Ja, das ist er. Endlich haben wir ihn. Und jetzt, da wir wissen, wo sich die Pagode befindet, ist er völlig nutzlos. Was für eine Ironie.“
Er drehte sich zu Leonard um, der mit gebundenen Händen auf einem Stuhl saß. Einer der Malaien hielt ihn mit einem russischen Schnellfeuergewehr in Schach. Eine rustikale Bewaffnung für einen Wildhüter, dachte Leonard. Die echten Camp-Bewohner werden sie umgebracht haben. Die Malaien gehörten zu Kavenay. Wie auch Majorie Nemsky keine unschuldige Touristin war.
„Mein Ersatz für den guten Randell. Sie war perfekt, um Sie im Auge zu behalten, Mister Finney. Außerdem kennt sie sich besser mit diesem fernöstlichen Firlefanz aus.“
Nur noch ihre pralle Figur blieb von dem oberflächlichen Globetrotter-Püppchen übrig, das Majorie ihm vorgespielt hatte. Ihre Züge zeigten die gleiche kalte Boshaftigkeit wie die Kavenays und Leonard verdächtigte sie, auch zu der gleichen Brutalität fähig zu sein.
„Sie erwarten doch nicht, dass ich Ihnen jetzt noch die Details liefere. Ich nehme an, Sie werden mich ohnehin umlegen.“
„Das ist richtig, Mister Finney“, entgegnete Kavenay kühl. „Aber Sie können schnell sterben und schmerzlos. Oder wir setzen die Behandlung fort, der Sie beim letzten Mal entgangen sind.“
„Das meiste hat er ohnehin notiert.“
Hämisch grinsend durchstöberte Majorie Leonards Aufzeichnungen und nahm zwei Blätter an sich.
„Das Labyrinth. Drei Lichtschächte. Der Altar. Wir müssen bei Vollmond dort sein.“
„Sie gehen dabei drauf, Kavenay. Die Sache hat irgendeinen Haken. Selbst ich weiß nichts genaues darüber.“
„Oh, Sie werden uns begleiten, Mister Finney. Und es für mich herausfinden.“
„Was, wenn dort gar nichts ist? Wozu all das Töten, wenn Sie nicht einmal sicher sein können, etwas hinter dieser Schwelle zu finden?“
Kavenay erhob sich und baute sich vor Leonard auf.
„Das sagen ausgerechnet Sie ? Was ist mit den Leichen, die in Ihrem Keller liegen? Haben Sie Ihre Freunde im Stich gelassen und sind allein hierher gekommen, weil Sie sicher sind, dort nichts zu finden?“
Mit einer sachten Drehung wandte er sein Gesicht dem Dunkel des Dschungels zu.
„Die Neugier. Nehmen Sie die erste Mondlandung. Man wusste, was dort ist. Wozu dann die Männer raufschicken? Die Neugier. Der Traum, Dinge zu entdecken, mit denen man nicht gerechnet hat. Leider erwies sich der Mond als die staubtrockene, unverwertbare Steinkugel, als die sie zuvor analysiert worden war. Aber in der Pagode des Schwarzen Buddha wartet mehr. Das Absolute, Unvorstellbare.“
Die Bernsteinaugen drangen wieder tief in Leonard ein.
„Und das wissen Sie! Deshalb sind Sie hergekommen.“
Ja, er wusste es. Aber er ahnte auch, dass man nicht in das Reich jenseits des Todes vordringen konnte. Und überleben.
Kapitel 64
Die Dayak sollten sie bis an den schmalen Bach führen, der die Grenze zu den Sehenden Wäldern markierte. Schon von weitem hörten sie das Brüllen. Innerhalb der letzten Stunde war das Rinnsal zu einem reißenden Fluss angeschwollen. Nur das obere Ende des anek atao ragte aus den schlammigen Fluten, wie der geöffnete Schnabel eines Riesenvogels.
„Oben in den Bergen hat es heftig geregnet“, stellte Manao fest. Kurz keimte in ihm die Hoffnung auf, das wütend schäumende Wasser würde die anderen abschrecken. Die Entschlossenheit in Sens Gesicht machte sie rasch zunichte.
„Wir müssen hinüber.“
„Vielleicht ist es besser, einen leichteren Übergang zu suchen. Weiter flussab.“
Manao fraß die Angst, wieder den abscheulichen Nomaden zu begegnen.
„Keine Zeit“, entgegnete Sen.
„Warum die Eile?“
„Wegen meiner grenzenlosen Dummheit. Ich habe dem jungen Engländer die
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