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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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gewöhnlichen Flusskieseln besser ins Auge fällt als unter seinesgleichen.«
    Beatrice runzelte die Stirn. Obwohl sie natürlich nicht der Lehre wegen nach Gazna gekommen war, trafen sie diese
    Worte. Wer ließ sich schon gern unterstellen, er hätte keine anderen Motive außer Eitelkeit und Geltungsbewusstsein.
    »Ihr solltet nicht so voreilig von Euch auf andere schließen, Abu Rayhan«, sagte sie und hob stolz den Kopf. »Als ich zu Euch kam, habe ich nicht damit gerechnet, beleidigt zu werden. Falls das die Absicht Eurer unhöflichen Bemerkung gewesen ist, so seid gewiss, dass ich Euch ...«
    »Ich bitte um Vergebung, Saddin al-Assim«, sagte Abu Rayhan und verneigte sich. »Ich war überaus unhöflich und nehme meine Worte hiermit zurück. Aber ich musste Euch prüfen und ...«
    »Und?« unterbrach ihn Beatrice. »Habe ich die Prüfung bestanden?«
    »Ja. Ihr seid ...«
    »Schön für Euch. Dennoch werde ich jetzt gehen.«
    Beatrice war so wütend über den Hofastronomen, dass sie ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben hätte. Sie erhob sich. Doch sie hatte die Tür noch nicht erreicht, als Abu Rayhan sie zurückhielt.
    »Bleibt!«, rief er und legte ihr eine Hand auf den Arm. »Ich bitte Euch, geht nicht.«
    Seine Stimme klang so kläglich, und seine Augen flehten sie an, sodass Beatrice einwilligte.
    »Gut, ich bleibe«, sagte sie und setzte sich wieder, »aber nur unter der Bedingung, dass Ihr mir dieses seltsame Gebaren erklärt. Wieso wagt Ihr es, mich zu beleidigen?«
    Abu Rayhan starrte auf seine Hände.
    »Ihr seid erst seit wenigen Tagen in Gazna, Saddin al-Assim, daher könnt Ihr keine Ahnung haben von ...« Er brach ab und schluckte. »Es gibt Tiere, die verstecken sich, wenn sie die Schritte der Menschen hören, andere laufen davon oder machen sich größer, als sie in Wirklichkeit sind, wieder andere beißen zu. Jedes Tier sucht sich seinen Weg, um am Leben zu bleiben und sich gegen seine Feinde zu verteidigen. Könnt Ihr mir folgen?«
    »Ich denke schon«, antwortete Beatrice. »Wenn ich Euch richtig verstehe, gehört Ihr zu denjenigen, die erst einmal zubeißen.«
    Abu Rayhan seufzte. »Ich musste Mittel und Wege finden, um Freunde und Feinde unterscheiden zu können.«
    »Und deshalb nehmt Ihr es in Kauf, jemanden zu vertreiben, der Euch wohlgesonnen ist und sogar Euer Freund werden könnte?«
    »Ja. Es ist besser, einen möglichen Freund zu vertreiben als einem möglichen Feind zu vertrauen.«
    »Vor Euch liegt ein einsames Leben, Abu Rayhan«, sagte Beatrice und erhob sich wieder. Sie war immer noch nicht gewillt, dem Astronomen zu verzeihen. Die Grundregeln der Höflichkeit galten zu jeder Zeit. Ganz gleich, wie verzweifelt er sein mochte, wie stark die Bedrohungen auch waren, er hatte nicht das Recht, andere zu beleidigen.
    »Ich verstehe Euren Zorn, Saddin al-Assim«, erwiderte er. »Doch wenigstens weiß ich jetzt, dass Ihr ein Mann der Ehre seid, der diese auch zu verteidigen bereit ist. Das ist gut. Die Ehre ist ein kostbarer Besitz, der schnell verloren gehen kann. Insbesondere hier in Gazna.«
    Ihre Blicke trafen sich, und Beatrice wurde plötzlich klar, was Abu Rayhan ihr mitteilen wollte und was Yassir ihr bereits gesagt hatte. Die Gelehrten an Subuktakins Hof waren nur so lange frei, wie ihre Aussagen und Forschungsergebnisse mit der Meinung des Herrschers übereinstimmten - eben ein totalitäres Regime wie hundert andere auch. Und trotzdem ... Doch dann sah sie plötzlich Michelle vor sich, ihr blondes Haar und die leuchtenden blauen Augen. Nein, Stolz hin oder her, sie musste sich mit Abu Rayhan gut stellen. Wenn jemand am Hof etwas über den Verbleib von Michelle wissen konnte, dann er. Und nach dieser Episode würde er bestimmt noch eher bereit sein, ihr zu helfen.
    »Nun gut, ich verzeihe Euch«, sagte sie und kehrte abermals zu den Sitzpolstern zurück.
    Eine Weile saßen sie sich schweigend gegenüber. Es war ein unbehagliches Schweigen, und beide waren erleichtert, als Yassir und Sala mit einem Krug und einem Tablett mit Brot, Käse und in Öl und Knoblauch eingelegtem Gemüse zurückkehrten. Sie bedienten sie, gössen ihnen das köstlich nach Zitronen duftende Wasser in zwei schwere Messingbecher und warteten auf neue Befehle.
    »Du kannst gehen, Sala«, sagte Abu Rayhan. »Doch entferne dich nicht zu weit, damit du mich hörst, falls ich dich brauche.«
    Sala verneigte sich. Yassir warf Beatrice einen fragenden Blick zu. Sie nickte, und auch er verschwand. Sie hatte nicht

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