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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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wirklich das Gesicht eines Mannes? Konnte sie die Gelehrten, die Diener, den Emir auf Dauer wirklich täuschen? Ohne jeden weiblichen Schmuck, ohne Schminke - vielleicht. Mit Bartwuchs wäre es sicher authentischer gewesen, doch der ließ sich nun mal nicht so einfach herbeizaubern wie ein anderer Haarschnitt.
    Der Schreiber des Herrschers hatte ihr ein Zimmer in einem Nebengebäude des Palastes zugewiesen, in dem sie fortan wohnen sollte. Auch einen Diener sollte sie zugeteilt bekommen. Sie wandte sich vom Spiegel ab und trat an das Fenster. Wenn sie hinaussah, konnte sie direkt gegenüber die vergitterten Fenster des Harems erkennen. Eigentlich hätte sie dort wohnen müssen, unter den anderen Frauen. Stattdessen hatte sie sich in eine ihr völlig unbekannte Männerwelt hineingeschmuggelt. Sie wusste nur das, was sie bislang von anderen Frauen gehört und was Malek ihr in der Nacht erzählt hatte. Es waren interessante Details, spannende Geschichten, ausreichend, um in einem Roman Erwähnung zu finden. Aber es war viel zu wenig, um hier zu leben - als Mann.
    Mein Gott, worauf habe ich mich nur eingelassen, dachte sie und stützte sich schwer auf den Fensterrahmen. Hinter einem der Gitter am gegenüberliegenden Gebäude nahm sie eine Bewegung wahr. Sie wurde beobachtet. Offensichtlich hatten die Frauen in Subuktakins Harem ebenso wenig zu tun wie die in Buchara. Vielleicht sogar noch weniger, wenn er wirklich so asketisch lebte, wie allgemein erzählt wurde. Langeweile machte erfinderisch - in jeder Hinsicht. Beatrice trat vom Fenster zurück. Sie wollte den Frauen dort drüben keinen unnötigen Gesprächsstoff liefern.
    Nachdenklich wanderte sie durch den bescheiden, aber geschmackvoll ausgestatteten Raum. Was sollte sie nur sagen, wenn ihr Diener morgens kam, um sie zu rasieren oder gar zu waschen? Wenn sie - wie es durchaus üblich war - von anderen Männern ins Bad eingeladen wurde? Wie lange konnte sie die Täuschung aufrechterhalten? Einen Tag? Zwei? Und dann? Sie brauchte keinen Abschluss in Soziologie oder arabischer Geschichte und auch keine hellseherischen Fähigkeiten, um diese Frage beantworten zu können. Sie würde sich auf dem Schafott vor ihrem Henker wiederfinden und sich eingestehen müssen, dass die ganze Geschichte ziemlich blödsinnig und das Ende vorhersehbar gewesen war. Beatrice wurde übel. Bestimmt gab es noch andere Möglichkeiten, mehr über Michelle herauszufinden. Wenn sie doch nicht so ungeduldig gewesen wäre. Sie hätte nur etwas länger darüber nachdenken müssen. Ihr wäre mit Sicherheit etwas eingefallen.
    Es klopfte an der Tür.
    »Herein!« Beatrice gab sich Mühe, ihre Stimme so forsch und herrisch klingen zu lassen, wie man es von einem gelehrten Mann am Hofe des Emirs erwarten konnte.
    Ein Diener trat ein. Er war höchstens Mitte zwanzig und sah geradezu unverschämt gut aus.
    »Ich heiße Euch am Hofe des Emirs willkommen, Herr«, sagte er mit einer wohlklingenden Stimme. »Mein Name ist
    Yassir, Herr. Auf Befehl unseres edlen Herrschers stehe ich Euch fortan als Diener zur Verfügung.«
    »Ja, gut, danke«, stammelte Beatrice und räusperte sich. Sie musste sich Mühe geben, den jungen Mann nicht ungebührlich lange anzusehen. Fast sehnsüchtig dachte sie an Se~ lim, den alten, buckligen und humpelnden Diener Alis mit dem schütteren Haar und dem zahnlosen Mund. Warum hatte man ihr nicht so einen Diener zuteilen können? Musste das Schicksal sie immer auf eine derart harte Probe stellen? »Der Schreiber sagte, ich solle hier warten ...«
    »Ja, Herr. Doch ich komme, um Euch mitzuteilen, dass Abu Rayhan jetzt gewillt ist, Euch zu empfangen. Und sofern Ihr bereit seid, werde ich Euch zu ihm bringen.«
    Yassir verneigte sich.
    Torfkopf!, beschimpfte Beatrice sich. Wäre Yassir eine hübsche junge Frau, würdest du dich nicht scheuen, ihn anzusehen. Also willst du nun einen Mann spielen oder nicht?
    »Yassir?«
    Der junge Mann richtete sich wieder auf und sah sie fragend an.
    »Ja, Herr, habt Ihr noch einen Wunsch?«
    »Bevor du mich zu dem weisen Abu Rayhan geleitest, möchte ich noch etwas klarstellen«, sagte Beatrice. »Ich weiß nicht, ob man dich darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass ich in diesem Land fremd bin. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass ich hin und wieder gegen eine Sitte verstoße oder mich in irgendeiner Weise ungeschickt verhalte. Solltest du einen solchen Fehltritt bemerken, so bitte ich dich, Nachsicht mit mir zu üben und mich auf meinen Irrtum

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