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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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wenn ständig das wachsame Auge meiner Getreuen auf Euch ruht, denn in Zeiten wie dieser ist es unsere heilige Pflicht, auch dem geringsten Hinweis zu folgen.« Beatrice sah, dass Abu Rayhan blass wurde, und hoffte um seinetwillen, dass Hassan es nicht auch bemerkt hatte. »Zerstreut Euch jetzt. Das heilige Schweigen beginnt.«
    Hassan zischte seinen beiden Begleitern einen Befehl zu, und die drei rauschten davon. Doch bevor sie den kleinen Raum verließen, streifte sein Blick Beatrice, und für einen kurzen Moment hatte sie Gelegenheit, ihm in die Augen zu sehen. Dieser Bruchteil einer Sekunde reichte aus, um sie davon zu überzeugen, dass sie sich gründlich geirrt hatte. Hassan war alles andere als ein Maulheld, Betrüger oder Schönschwätzer, der nur seinem Vater nach dem Mund redete. Jedes einzelne Wort meinte er bitterernst. Maleks vor Furcht und Entsetzen bleiches Gesicht fiel ihr wieder ein, als sie es gewagt hatte, das Wort »Fidawi« auszusprechen. Er hatte es zwar nicht deutlich gesagt, aber zwischen seinen Worten meinte sie heraushören zu können, dass er den Schlupfwinkel der Fidawi mitten in Gazna vermutete. Doch war es möglich, dass die Kontakte der Fidawi bis in den Paiast des Emirs reichten? Vielleicht gehörte Hassan sogar zu ihnen. Die Art, in der er von den Frevlern gesprochen, und die Weise, wie er den Tod seines Bruders verklärt hatte, ging über ein gewöhnliches Maß an Wut und verständlicher Trauer weit hinaus. Und dann war da sein Blick. Er hatte dunkle Augen, die vor Hass, Zorn und einem fanatischen Eifer glühten und trotzdem erschreckend kalt waren. Dieser Blick machte ihr Angst. Es war der Blick eines Mannes, der jederzeit bereit war, Flugzeuge zu entführen, Hochhäuser in die Luft zu sprengen oder Züge entgleisen zu lassen, und der es in Kauf nahm, dabei Menschen zu töten. Im Gegenteil, je mehr Leben eine Aktion forderte, umso größer war der Triumph und umso näher kam er seinem eigentlichen Ziel - der Bestrafung der Ungläubigen. Dabei war er noch jung. Beatrice wagte kaum zu atmen. Sie, die Fremde mit den blauen Augen und blonden Haaren, deren Herkunft niemand außer sie selbst bezeugen konnte, stand gewiss ganz oben auf der Liste der Verdächtigen.
    Doch der kurze Moment ihrer Begegnung ging vorüber, ohne dass Hassan sie ansprach oder sie gar angriff. Beatrice war sich noch nicht einmal sicher, ob er sie auch wirklich wahrgenommen hatte. Erleichtert atmete sie wieder auf. Die Gefahr war vorüber. Fürs Erste. Doch wenn sie diesem Radikalen auch in Zukunft nicht in die Hände fallen wollte, würde sie bei ihren Nachforschungen vorsichtig sein müssen. Noch vorsichtiger, als sie ursprünglich angenommen hatte.

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    15.
    D as Talglicht auf dem Lesepult flackerte in einem schwachen Luftzug. Unablässig wehte er durch die kleinen schmalen Fenster hoch oben im Deckengewölbe der Bibliothek, strich um die schlanken Säulen und ließ schließlich am Ende seiner Reise Beatrice frösteln. Sie wickelte sich enger in ihren Mantel, zog sich den Fes tiefer über die Ohren und blies warme Atemluft in ihre klammen Fäuste. Doch alle diese Maßnahmen brachten keinen Erfolg. Unbeirrt kroch der Windhauch ihr bis unter die Kleider und blies ihr eiskalt in den Nacken wie der Atem eines Gespenstes, das ihr heimlich beim Lesen über die Schulter sah. Wie spät mochte es wohl sein? Mitternacht war sicher schon lange vorüber.
    Es war unheimlich zu dieser Stunde in der Bibliothek. Zwei Fackeln brannten an der breiten Eingangstür, und die langen Schatten der Säulen tanzten unruhig über den Steinboden wie eine Horde lautloser Geister, die der schwache Lichtschein aus ihren Schlupfwinkeln gelockt hatte. Beatrice war allein. Oder wenigstens beinahe, denn irgendwo zwischen den Regalen, irgendwo in den unergründlichen Tiefen der Bibliothek geisterte Reza herum. Man konnte meinen, dass der Bibliothekar niemals schlafen musste. Wenn er wirklich manisch krank war, so wie sie vermutete, vermochte er tatsächlich Tage, unter Umständen sogar ein oder zwei Wochen ohne Schlaf auszukommen, so lange, bis die manische Phase vorüber war und einem Zustand tiefer Depression und Erschöpfung wich. Aber vielleicht hielt er sich auch aus einem anderen Grund wach. Vielleicht hatte er den Auftrag, sie nicht aus den Augen zu lassen. Vielleicht sollte er sie genau beobachten, um erzählen zu können, was sie tat und in welchen Büchern sie gerade las.
    Beatrice hob den Kopf und lauschte. Da war er wieder.

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