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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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gewandert war? Oder war es am Ende doch kein Traum gewesen? Aber was hatte sie eigentlich gesehen?
    Sie versuchte sich an jede Kleinigkeit ihres Traums - oder was auch immer es gewesen sein mochte - zu erinnern. Doch je mehr sie es versuchte, umso mehr verschwammen die Einzelheiten vor ihren Augen wie die Bilder eines Traums, an den man sich bereits ein paar Minuten nach dem Aufwachen nicht mehr erinnern konnte. Zu allem Überfluss begannen auch noch hinter ihrer Stirn heftige Kopfschmerzen zu pochen.
    »Es hat keinen Zweck«, sagte sie leise, rieb sich die Nasenwurzel und wünschte sich nichts sehnlicher als ihre kleine rote Dose Tiger Balm, die sie zu Hause immer in ihrer Handtasche bei sich trug. Mit dem nach Kampfer und Menthol duftenden Balsam bekämpfte sie gewöhnlich ihre Kopfschmerzen erfolgreicher als mit Medikamenten. »Ich werde wohl niemals dahinter kommen.« Das Pferd schnaubte, stieß sie auffordernd an und stampfte einmal mit dem Huf auf den Boden.
    »Du hast Recht«, sagte Beatrice und streichelte dem Tier über die Nase. »Wir sollten jetzt endlich aufbrechen.«
    Mühsam rappelte sie sich auf. Sie fühlte sich immer noch ein bisschen schwindlig und war froh, als sie endlich im Sattel saß. Die Sterne über ihr waren in der Zwischenzeit nur unwesentlich weitergewandert. Was auch immer hier geschehen war, es hatte ganz offensichtlich nicht lange gedauert. Sie sah sich noch einmal um. Vor ihr lag die Steppe, im Hintergrund standen die Ruinen des Bauernhofs. Nichts hatte sich verändert, alles war noch genauso wie vorher. Abgesehen von der Feuerstelle, die jetzt schwarz und düster inmitten des im Sternenlicht silbrig glänzenden Grases lag wie der berühmte Tintenfleck an Martin Luthers Zellenwand. Plötzlich fröstelte es sie. Etwas in der Asche schimmerte hell, viel heller als die Asche. Und die Umrisse dieses Objekts erinnerten sie fatalerweise an die Kalotte eines menschlichen Schädels.
    Beatrice riss das Pferd herum, trat ihm in die Flanken und galoppierte in Richtung Norden davon. Sie konnte sich nicht auch noch mit ihren Hirngespinsten belasten. Sie hatte Wichtigeres zu tun. Schließlich musste sie Qazwin unbedingt vor Hassan und seinen Leuten erreichen. Sie musste Michelle finden und Ali rechtzeitig vor der drohenden Gefahr warnen. Ganz gleich, was auch immer hier geschehen war oder nicht, es würde wohl ein Rätsel bleiben. Und es ging sie auch nichts an.
    »Herr, da ist ...«
    Weiter kam der Diener nicht. Er wurde so unsanft zur Seite gestoßen, dass er gegen die Wand prallte und vor Schmerz aufschrie.
    »Beim Barte des Propheten!«, brüllte Hassan. Doch dann erkannte er den Mann, der sich auf so rabiate Weise Zutritt zu seinem Gemach verschafft hatte, und sein Zorn milderte sich. Es war Harun. Er war einer der Brüder und gleichzeitig Mitglied der Leibgarde seines Vaters. Jemand wie Harun würde es niemals wagen, ihn mitten in der Nacht zu stören - es sei denn, er hatte einen wichtigen Grund. »Was gibt es?«
    Harun warf dem Diener einen misstrauischen Blick zu, und Hassan nickte.
    »Geh, ich brauche dich heute nicht mehr.«
    Der Diener verneigte sich und verließ das Zimmer, nicht ohne Harun zuvor hasserfüllt anzusehen und sich seine schmerzenden Rippen zu halten. Hassan wartete noch, bis sich die Tür hinter dem Diener geschlossen hatte und seine Schritte auf dem Flur verhallt waren, dann erst wiederholte er seine Frage.
    »Nun, Harun, was ist so wichtig, dass du mich mitten in der Nacht in meinem Schlafgemach überfällst wie ein Dieb?«
    »Verzeiht, Herr und Großmeister«, antwortete Harun und verneigte sich. Dass Hassan mit bloßem Oberkörper und nur mit einer leichten Schlafhose bekleidet vor ihm stand, schien seiner Ehrfurcht keinen Abbruch zu tun. »Ich würde es gewiss nicht wagen, Euch in Eurer wohlverdienten Ruhe zu stören, Herr, doch es ist etwas vorgefallen, das keinen Aufschub duldet. Eure Anwesenheit ist dringend erforderlich.«
    »So. Und worum handelt es sich?«
    »Das ... das wage ich Euch nicht zu sagen. Nicht hier. Ihr solltet es mit Euren eigenen Augen sehen, Herr. Ich muss Euch daher bitten, mich zu begleiten.«
    »Darf ich wenigstens wissen, wohin ich mit dir gehen soll?«
    »Natürlich, Herr!«, erwiderte Harun rasch und verneigte sich. Seine Ohren glühten wie die untergehende Sonne. Ihm war deutlich anzumerken, wie unangenehm ihm die ganze
    Angelegenheit war, und trotzdem hatte Hassan den Eindruck, dass da noch etwas anderes dahinter steckte. Der Mann trieb

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