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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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gewiss keine Scherze mit ihm. Er sah aus, als ob er Angst hätte. »Ihr müsst mich in den Kerker begleiten.«
    Hassan runzelte die Stirn. »In den Kerker?«
    »Ja, Herr«, sagte Harun mit deutlich zitternder Stimme. »Der Kerkermeister hat in einer der Zellen etwas entdeckt, das Ihr Euch ansehen müsst.«
    »Ich kleide mich rasch an.«
    Während er mit Harun durch den Palast zum Kerker ging, fragte Hassan sich nicht, was von so großer Bedeutung sein konnte, dass seine Anwesenheit dort mitten in der Nacht von- nöten war. Solche Fragen waren überflüssig. Er würde die Antwort ohnehin erst vor Ort erfahren, und bis dahin konnte er die Zeit besser nutzen, indem er die neunundneunzig Namen Allahs rezitierte.
    Als sie endlich im Kerker ankamen, merkte Hassan sofort, dass Harun nicht übertrieben hatte. Alle Wachen schienen in Aufruhr zu sein. Sie standen in kleinen Gruppen beieinander, ihre unterdrückten Stimmen klangen aufgeregt. Doch sobald sie Hassan erkannten, verstummten sie und verneigten sich.
    »Was ist hier los?«, fragte Hassan, richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf, verschränkte die Arme vor der Brust und sah streng von einem zum anderen. »Wer will es mir erklären? Wo ist der Kerkermeister?«
    »Hier bin ich, Herr.«
    Der Kerkermeister trat einen Schritt vor. Obwohl er nicht zu den größten Männern zählte und sein Haar bereits grau wie Asche war, war er eine furchteinflößende Erscheinung mit seinen kräftigen, muskulösen Armen, den breiten Schultern und der quer über dem Gesicht verlaufenden Narbe.
    Hassan kannte die Geschichten über diesen Mann und seine ungewöhnliche Grausamkeit gut, die vor vielen Jahren zu seiner Strafversetzung von den Soldaten in den Kerker geführt hatte. Doch diese Berichte kümmerten ihn nicht. Wer erwartete schon Barmherzigkeit und Sanftmut von einem Kerkermeister?
    »Erzähle mir, was vorgefallen ist«, verlangte Hassan.
    »Kommt mit mir, und seht selbst«, entgegnete der Kerkermeister statt einer Erklärung. Er riss eine der Fackeln von der Wand und ging ein paar Schritte voraus. Dann blieb er stehen und wandte sich um.
    »Gut, ich komme. Harun ...«
    Doch der Kerkermeister unterbrach ihn. »Allein.«
    Hassan öffnete den Mund, um den Mann wegen seiner Unverfrorenheit zurechtzuweisen und ihm die angemessene Strafe anzudrohen, doch ein Blick in dessen Augen genügte, und er schwieg. Diese Augen waren kalt und dunkel wie der Tod selbst. Ein solcher Mann ließ sich nicht einschüchtern. Schon gar nicht durch Worte. Hassan nickte nur und folgte ihm.
    Sie stiegen eine schmale steinerne Treppe hinab und gingen einen engen Gang entlang. Es war keinesfalls das erste Mal, dass Hassan den Kerker betrat. Er kam oft hierher, um Verhöre zu überwachen, Hinrichtungen anzuordnen oder Gefangene zu begnadigen - was allerdings nur selten geschah. Trotzdem fühlte er sich in dieser Nacht ebenso unbehaglich wie damals als Achtjähriger, als ihn sein Vater zum ersten Mal in den Kerker mitgenommen hatte, um ihm zu zeigen, wie das Strafsystem der Stadt Gazna organisiert war. Hinter den Zellentüren vor ihnen polterten und murrten die Gefangenen. Ihren Schreien entnahm Hassan, dass sie ihre abendliche Essensration nicht erhalten hatten. Doch sobald sie sich den Zellen näherten, verstummten die Gefangenen, als hätten sie die Schritte der schweren, eisenbeschlagenen Stiefel des Kerkermeisters erkannt und wollten um jeden Preis vermeiden, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
    »Es war klug von Euch, auf meinen Rat zu hören«, sagte der Kerkermeister mit seiner tiefen, rauen Stimme, deren Klang einige Gefangene dazu veranlasste, zu wimmern und zu heulen wie verwundete und verängstigte Tiere. »Ich bin sicher, es ist nicht in Eurem Sinne, dass noch mehr Augen zu sehen bekommen, was ich Euch zeigen will.«
    »Und wohin führst du mich?«, fragte Hassan. Er wurde allmählich wütend. Wie kam es, dass dieser Mann, dieser alte ehemalige Soldat, der zur Strafe seinen Dienst hier im Kerker verrichten musste, anstatt zur Ehre Allahs und für Subuktakin zu kämpfen, ihn in dieser Nacht so aus der Fassung brachte? Warum ließ er es zu, dass dieser heruntergekommene Kerl, der sich gewiss nicht an das Verbot des Genusses von berauschenden Getränken hielt, so mit ihm sprach? An jedem anderen Tag hätte er ihn längst zu fünfzig Peitschenhieben verurteilt. Nicht mehr, denn schließlich war dieser Mann nützlich. Es gab nicht viele, die sich damit brüsten konnten, dass Wachen und

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