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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Gefangene gleichermaßen vor ihnen zitterten. Und trotzdem, eigentlich sollte er den Kerl für seine Frechheit bestrafen. Warum tat er es nicht?
    Später, dachte Hassan, später. Erst will ich wissen, was er mir zu zeigen hat.
    »Ich bringe Euch nach unten«, antwortete der Kerkermeister, und ein breites Grinsen verzerrte sein entstelltes Gesicht zu einer grässlichen Fratze. »Dorthin, wo die schlimmsten Verbrecher in ihren Zellen hocken und auf ihr Ende warten - die Verräter, die Ehebrecher, die Gotteslästerer.«
    Hassan schluckte. Er kannte das unterste Stockwerk des Kerkers gut. Oft war er dort, um Ketzer zu verhören oder ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Zuletzt in der vergangenen Nacht, als er Tariq aus seiner Zelle geholt und ihn in das verfallene Haus gebracht hatte.
    Endlich kamen sie im untersten Stockwerk an, einem Labyrinth, verwinkelter und verwirrender als alle anderen Stockwerke des Kerkers. Der Gestank, der hier herrschte, war schier unerträglich, er raubte einem den Atem. Es roch, als hätte die Hölle einige ihrer Schleusen geöffnet, um den Gefangenen in ihren Zellen einen Vorgeschmack darauf zu geben, was sie nach ihrem Ableben erwartete. Hassan schnappte mühsam nach Luft und fragte sich, ob es hier in der vergangenen Nacht auch schon so gestunken hatte. Es war ihm nicht aufgefallen. Oder war die Hölle so zornig über die Entführung einer ihrer Söhne, dass sie die Luft verpestet hatte? Um nicht ohnmächtig zu werden oder gar zu ersticken, hielt er sich ein Tuch vor die Nase. Der Kerkermeister warf ihm einen Blick zu und grinste. Ihn schien der Gestank nicht zu stören.
    Vor einer der Zellen stand ein Wachtposten. Schon von weitem erkannte Hassan, um welche Zelle es sich dabei handelte. Hier war er in der vergangenen Nacht gewesen, hier hatte er Tariq in Ketten legen und ihn dann hinausbringen lassen.
    »Verschwinde«, herrschte der Kerkermeister seinen Untergebenen an. »Melde dich im Quartier. Oben gibt es genug zu tun.«
    Der Wachtposten nickte und machte sich aus dem Staub, als würde ihn oben das Paradies erwarten. Und Hassan begann sich allmählich doch zu fragen, warum. Was war hier geschehen, das alle derart verängstigte und in Aufregung versetzte?
    Der Kerkermeister nahm einen gewaltigen Schlüsselring von seinem Gürtel. Das rostige Schloss quietschte erbärmlich, als er den Schlüssel darin umdrehte, und nur widerwillig ließ sich die von Feuchtigkeit und Kälte verzogene Tür öffnen.
    Bestialischer Gestank schlug Hassan entgegen und traf ihn wie eine ins Gesicht geschmetterte Faust, sodass er zurücktaumelte. Auch hier hatte es vergangene Nacht nicht so gestunken. Gewiss nicht. Es wäre ihm doch aufgefallen.
    »Bitte, tretet ein«, sagte der Kerkermeister und machte eine Verbeugung. »Doch wappnet Euch. Wenn Ihr einen Fuß über diese Schwelle setzt, betretet Ihr das Reich des Bösen.«
    Hassan schluckte. Das Grinsen des Kerkermeisters war diabolisch. War dies wirklich der Kerkermeister, den er kannte? Oder war ein Dämon, vielleicht sogar der Teufel persönlich in die Haut des Kerkermeisters geschlüpft, um ihn in eine Falle zu locken? Nur zögernd betrat er Tariqs Zelle. Schritt für Schritt ging er vorwärts und erwartete jeden Augenblick das Geräusch der hinter ihm zuschlagenden Tür zu hören, um dann den Geschöpfen der Hölle schutzlos und allein ausgeliefert zu sein. Doch nichts geschah.
    Er stand in der Zelle. Der Boden des kleinen, kaum zehn mal zehn Fuß messenden Raums war mit altem schimmligem Stroh bedeckt, in dem Maden und zahllose Spinnen herumkrochen. In einer Ecke raschelte es verdächtig. Ratten. Im ganzen Kerker wimmelte es von diesen widerlichen Tieren. Sie fraßen Unrat und Insekten, von denen es hier mehr als genug gab. Sie lebten von den Nahrungsrationen der Gefangenen, den Leichen, die manchmal in ihren Zellen verwesten, unbeachtet und vergessen von den Wachen. Berichten zufolge machten sie noch nicht einmal vor den lebenden Häftlingen halt. Der Tisch im Kerker war stets reich gedeckt, die Ratten waren fett, und manche von ihnen wurden so groß wie Katzen. Doch das störte Hassan nicht. Wer hier im Kerker saß, hatte das alles verdient - die Dunkelheit, den Hunger und den Durst, den Gestank und natürlich auch die Ratten. Aber warum hatte man ihn jetzt hierher gebracht? Er konnte nichts Ungewöhnliches oder gar Beängstigendes entdecken.
    »Reich mir die Fackel!«, rief er dem Kerkermeister zu. »Es ist zu dunkel.«
    Das Licht der Fackel erhellte

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