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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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jüdischer Sicht gesehen nicht viel zu gefährlich?
    »Vielleicht hat die Legende Recht«, fuhr der Alte fort. »Vielleicht werden die Söhne Allahs wirklich wieder ein Volk sein. Meiner Erfahrung mit den Steinen nach zu urteilen wird diese Einheit jedoch anders aussehen, als sich das viele arabische Führer erträumen.« Sein leises, heiteres Lachen ging rasch in Husten über. Der Anfall wurde so heftig, dass Beatrice sich in Gedanken bereits auf eine Reanimation vorbereitete, als Isaac ihm einen Becher mit einer stark duftenden Flüssigkeit an die Lippen hielt und Moshe Ben Maimon sich ebenso schnell und überraschend wieder erholte. »Doch was wirklich geschehen wird, wenn das Auge jemals wieder vollständig sein sollte, weiß nur Gott allein.«
    Beatrices Blick ruhte auf dem beinahe vollständigen Auge. Nie zuvor hatte sie etwas so Schönes gesehen. Sie konnte den Blick gar nicht mehr abwenden. Es war, als hätte sich die Trost spendende Wärme, die sie schon immer in ihrem Stein gefühlt hat, potenziert. Und sie stellte sich vor, was passieren würde, wenn sie ihre beiden Teile hinzufügen würde. Wie ein geheimnisvolles gleißendes Licht die Bruchstücke nahtlos aneinander schweißen und das Auge, endlich wieder vollständig nach Jahrhunderten der Trennung, sie ansehen würde - klar und überirdisch schön. Ob es dann wohl auch blinzelte?
    »Und was ist mit den Fidawi?«, fragte Ali.
    Moshe Ben Maimon stieß einen tiefen Seufzer aus, der aus dem Mund des Alten wie sein letzter Atemzug klang.
    »Ich brauche euch wohl nicht zu sagen, dass sie gefährlich sind«, antwortete er leise. »Sie haben bereits Saddin getötet und können es sicher kaum erwarten, ihre getöteten Brüder zu rächen. Allerdings wisst ihr nicht, wie gefährlich sie wirklich sind. Denn sie werden getrieben von den mächtigsten Gefühlen, zu denen Menschen fähig sind - Angst und Hass. Sie hassen alles, was nicht denselben Glauben hat wie sie. Und deshalb fürchten sie die Steine der Fatima. Sie fürchten sich vor dem, was geschehen könnte, wenn das Auge eines Tages wieder vereint sein sollte. Sie fürchten die Erkenntnis, dass alle Wege zur Quelle führen.« Ein trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht. »Eine Angst, die sie übrigens mit vielen anderen teilen, nicht nur Muslimen. Sie behaupten, sie wollen die Steine der Fatima vor der Hand der Ungläubigen und Frevler retten, doch letztlich versuchen sie nur mit allen Mitteln die Vereinigung der Saphire zum Auge zu verhindern.«
    »Aber wenn wir das Auge jetzt zusammenführen, dann ist es doch sicher? Dann ist die Voraussetzung erfüllt, und die Prophezeiung kann eintreten. Wenn wir es jetzt, in diesem Augenblick ...«
    »Tragt Ihr auch ruach-daat bei Euch?«
    »Nein«, antwortete Beatrice. »Er ist bei Michelle in Alis Haus. Doch wir können ...«
    »So hat es keinen Sinn.« Er lehnte sich erschöpft in seinem Sessel zurück. »Manchmal wünsche ich mir, ich könnte dabei sein, wenn das Auge endlich zusammengefügt wird.«
    »Aber was spricht denn dagegen?«, warf Beatrice ein. »Einer von uns könnte den fehlenden Saphir holen, und dann können wir hier ...«
    »Nein. Wenn es Gott, dem Allmächtigen, gefallen hätte, mich an diesem Ereignis teilhaben zu lassen, es wäre schon längst geschehen. Ich war schon so oft nahe daran, alle Steine in meiner Obhut zu haben. Doch immer wieder ging einer von ihnen verloren oder wurde gestohlen, oder ist einfach verschwunden.« Moshe schüttelte den Kopf. »Es steht uns nicht zu, den Ratschluss Gottes zu kennen. Außerdem habe ich schon zu viel gesehen. Ich bin müde. Es wird Zeit, dass ich die Aufgabe, die Steine zu beschützen, an jemanden übertrage. Jemanden, der jünger und stärker ist als ich.« Er reichte Beatrice den Kasten.
    Beatrice sah den alten Juden mit offenem Mund an, und es dauerte eine Weile, bis sie begriffen hatte.
    »Ich?!«, rief sie schließlich aus und wusste in diesem Augenblick nicht, ob sie sich über die Ehre freuen oder daran verzweifeln sollte. Eigentlich hatte sie doch nichts anderes vorgehabt, als ihre Tochter wieder nach Hause zu bringen, um dort ein ganz normales Leben zu führen. Die Verantwortung für ein rätselhaftes archaisches Artefakt zu übernehmen, das die Welt vielleicht nicht gerade retten, aber immerhin besser machen sollte, war wohl etwas zu viel verlangt. Dies hier war nicht Hollywood. Sie war keine Heldin. Sie war Chirurgin, Mutter und mehr als zufällig in diese ganze Geschichte hineingestolpert.

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