Das Auge der Fatima
an.
»Es ist wirklich wichtig!«, platzte Beatrice heraus. »Verzeiht, es muss Euch ungehörig erscheinen, dass wir trotz seiner Krankheit um ein Gespräch mit ihm bitten, aber wir haben keine andere Wahl. Wir ...« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Was sollte sie sagen? Wie wäre es mit der Wahrheit? In diesem Haus wussten bestimmt alle Bescheid. »Geht zu Rabbi Ben Maimon und sagt ihm, dass wir Fragen zu den Steinen der Fatima haben. Fragen, die niemand anders als er selbst beantworten kann. Und wir brauchen diese Antworten schnell. Die Fidawi sind uns auf den Fersen.«
»Wenn das so ist ...«Er schien nachzudenken, dann nickte er. »Gut, ich werde sehen, was ich für Euch tun kann. Aber versprechen kann ich Euch nichts. Wartet bitte einen Augenblick«, meinte er und verschwand.
Die Zeit verstrich unendlich langsam und qualvoll. Beatrice wagte kaum sich zu rühren, während Ali in dem Geschäft auf und ab ging wie ein nervöses Tier. Beatrice kam schon der Verdacht, dass dies eine effiziente Taktik sein könnte, um unliebsame Besucher loszuwerden, als der junge Mann endlich doch wiederkam. Aber diesmal war er nicht allein. Ein Junge begleitete ihn, ebenso in ein knöchellanges weißes Gewand gekleidet wie er.
»Seid willkommen, Ali al-Hussein«, sagte der Junge und verneigte sich vor Ali und Beatrice. »Benjamin hat dem Rabbi alles erzählt. Rabbi Ben Maimon ist bereit, Euch zu empfangen.«
Beatrice schloss vor Erleichterung die Augen und schickte ein Dankgebet zum Himmel.
»Doch ich muss Euch bitten, nicht zu lange zu bleiben«, sagte der junge Mann, der Benjamin hieß. »Der Rabbi ist sehr schwach. Selbst die geringste Aufregung oder Anstrengung könnte ihn töten.«
»Wir werden uns daran halten«, erwiderte Ali und verneigte sich vor dem jungen Juden.
»Ich muss mich auf Eure Worte verlassen, Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina«, sagte Benjamin, und Beatrice fragte sich, woher er wohl Alis Namen kannte. Waren sie sich schon früher begegnet? »Isaac, begleite die beiden jetzt zum Rabbi.«
Im Zimmer des Rabbi war es heiß. Die Vorhänge waren zum Schutz vor der Sonne zugezogen, und obwohl draußen sommerliche Temperaturen herrschten, brannte in einer Ecke des Raums ein Feuer. In einem breiten Lehnstuhl saß ein Greis. Er war klein, mager und so blass, dass er fast durchsichtig zu sein schien. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, seine Wangen waren eingefallen. Schlaff ruhten seine mageren, von Arthrose und Rheuma entstellten Hände auf den Armlehnen seines Stuhls. Mehrere Decken waren über seine Knie gebreitet, um ihn vor einer Kälte zu schützen, die im schottischen Hochland herrschen mochte, aber bestimmt nicht hier in dieser Stadt. Ein einziger Blick reichte aus, und Beatrice wusste, dass Benjamin keineswegs übertrieben hatte. Moshe Ben Maimon war wirklich sehr krank. Mehr noch, dieser Mann war vom Tod gezeichnet.
Gut, dass wir nicht länger gewartet haben, dachte sie, während sie gemeinsam mit Ali näher an den Lehnstuhl herantrat. Wer weiß, morgen wäre es vielleicht schon zu spät gewesen.
»Ali al-Hussein«, sagte der Alte mit einer Stimme, die so zittrig und brüchig klang, dass man befürchten musste, er würde keine Luft mehr bekommen. »Ich habe nicht erwartet, Euch noch einmal zu sehen.«
»Falls ich Euch bei unserer letzten Begegnung erzürnt haben sollte ...«
Doch der Greis winkte ab. »Lasst gut sein, Freund. Ihr seid jung und ungestüm. Früher oder später hättet Ihr selbst die Wahrheit herausgefunden. Aber ich habe nicht daran geglaubt, dass ich es noch erleben würde.« Er hustete und schloss erschöpft die Augen. »Wie ihr seht, sind meine Tage gezählt.«
»Ihr solltet nicht so reden«, widersprach Beatrice und warf Ali einen flehenden Blick zu. »Wir sind Ärzte. Vielleicht können wir Euch ...«
»Ihr müsst Beatrice sein«, sagte der Greis und lächelte sie an, »die Frau, von der Saddin immer erzählt hat. Er sagte, dass Ihr einen der Saphire besitzt, die man die Steine der Fatima nennt.«
»Ja, deshalb sind wir ...«
»Habt Ihr ihn jetzt bei Euch?«
Beatrice nickte. Und noch bevor sie darüber nachgedacht hatte, holte sie den Saphir aus dem Beutel heraus, den sie immer in einer geheimen Tasche ihres Kleides bei sich trug, und hob ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hoch. Das Licht des flackernden Feuers brach sich in dem Saphir und tauchte die Hälfte des Raums in ein unwirkliches blaues Licht.
»U-bina«, flüsterte Moshe Ben Maimon, und in
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