Das Auge der Fatima
Fragen kommen.
Hassan stellte den Gebetsteppich in eine Ecke des Raums. Osman war sein Freund, sein engster Vertrauter. Mit ihm verband ihn mehr als mit seinem Vater oder seinen leiblichen Brüdern. Sie hatten die gleichen Gedanken, die gleichen Träume und Ziele, in ihnen loderte dasselbe heilige Feuer. Er würde Osman noch heute eine Nachricht schicken. Er musste ihn treffen, so bald wie möglich. Er würde sich mit ihm beraten. Und gemeinsam würde ihnen eine Lösung für dieses Problem einfallen - Allah würde sie ihnen zeigen, so wie Er es in Seiner unermesslichen Güte bisher immer getan hatte.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ Hassan aufhorchen. Lautlos und flink wie ein Schatten trat sein Diener ein.
»Verzeiht, dass ich Euch störe, Herr«, sagte er und verneigte sich, »doch ein Bote hat dies für Euch abgegeben mit der Bitte, es Euch auf der Stelle auszuhändigen. Er sagte, es handle sich um eine wichtige Nachricht, die keinen Aufschub dulde.«
Er reichte Hassan ein zusammengefaltetes Pergament.
»Wie sah der Bote aus?«, fragte Hassan, nachdem er einen kurzen Blick auf das Siegel geworfen hatte.
»Er war gekleidet wie ein Händler, Herr«, antwortete der Diener und verneigte sich erneut. Ein seltsames Leuchten trat dabei in seine Augen. »Er ist sofort wieder gegangen. Ich bitte vielmals um Vergebung für meine Ungeschicklichkeit, Herr, doch ich konnte wahrlich nicht ahnen, dass Ihr diesen Mann zu sprechen wünschtet. Hätte ich das gewusst, so hätte ich ihn auf der Stelle zu Euch geführt oder ihn doch wenigstens festgehalten.«
»Du hast richtig gehandelt«, erwiderte Hassan kühl. Schon oft hatte er den Verdacht gehabt, dass sein Diener mehr wusste oder wenigstens ahnte, als für ihn gut war. Allmählich wurde er gefährlich - ein weiteres Problem, das es zu lösen galt. Allerdings war dies hier sehr viel unbedeutender. »Du kannst dich wieder entfernen.«
Der Diener hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, als er auch schon das Siegel aufbrach. Es war derselbe, schlichte und dennoch so ergreifend schöne Schriftzug, mit dem er ebenfalls seine Briefe zu versiegeln pflegte. Mit zitternden Händen entfaltete er das Pergament.
»Ich muss dringend mit dir sprechen. Komme daher in wenigen Tagen nach Gazna. Bereite alles vor.
Allah ist groß.
Osman.«
Ein paar Tage würde er die Familie ohne Schwierigkeiten noch hinhalten können, falls sie Fragen nach Nuraddin stellen sollten. Und dann würde er sich mit Osman beraten können. Endlich. So wie er es herbeigesehnt hatte.
»Allah ist groß«, flüsterte Hassan ehrfürchtig, während er das Pergament an die Flamme einer Öllampe hielt und zusah, wie es Feuer fing und allmählich in einer Messingschale zu Asche verbrannte. Man konnte nicht vorsichtig genug sein. Alle Diener waren neugierig. »Groß, weise und gütig.«
In der Tat war es ein Wunder. Allah hatte seine Gebete erhört, noch bevor er sie überhaupt ausgesprochen hatte.
Die Hochzeit war genau so gewesen, wie sich Beatrice immer die Hochzeiten in orientalischen Märchen vorgestellt hatte. Haus und Garten waren festlich geschmückt, in den Brunnen und Wasserbecken schwammen hunderte von Talglichtern zwischen Rosenblättern. Überall duftete es nach Rosen, Jasmin und Weihrauch, der in Räucherschalen verbrannt wurde. Die geladenen Männer, Frauen und Kinder trugen ihre besten Kleider - prächtige, mit Gold und Silber bestickte Gewänder aus schwerer Seide und schimmerndem Samt. Flötenspieler und junge hübsche Tänzerinnen unterhielten die Gäste mit fröhlichen Weisen, Akrobaten jonglierten mit gläsernen Kugeln, liefen über Messerrücken und spien Feuer. Das Essen, eine schier unüberschaubare Fülle der unterschiedlichsten kalten und warmen, süßen, salzigen und scharfen Speisen, war ein Märchen für sich. Ein Gericht war köstlicher als das andere, sodass Beatrice sich darüber ärgerte, dass die Aufnahmefähigkeit ihres Magens begrenzt war. Denn selbst bei aller Bescheidenheit in der Größe der Portionen gelang es ihr nicht, aus jeder Schüssel und von jedem Teller zu kosten, und schon bald hatte sie das Gefühl zu platzen. Alle amüsierten sich. Die Gäste lachten und unterhielten sich angeregt miteinander, die Kinder staunten über die Akrobaten und mischten sich unter die Tänzerinnen. Und Beatrice war nicht wenig verwundert, dass Männer und Frauen unbefangen gemeinsam feierten. Offensichtlich waren die Sitten hier mitten in der Wüste nicht ganz so streng wie in
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