Das Auge der Fatima
deinem Ziel führen können. Natürlich wird es für dich schwieriger sein als für andere Dichter. Trotzdem, du solltest nicht so einfach aufgeben. Allah macht keine Fehler.« Beatrice lächelte. »Ich werde darüber nachdenken. Vielleicht fällt mir eine Lösung ein.«
»Ich bin so froh, dass der Stein dich hierher geführt hat«, sagte Yasmina und schlang Beatrice ihre Arme um den Hals. »Du bist der erste Mensch, dem ich mich anvertrauen konnte, der mich versteht. Ich möchte, dass du nachher bei meiner Hochzeit direkt an meiner Seite stehst, als meine Cousine Sekireh.«
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7.
B eatrice stand am Fenster ihres Zimmers und sah hinaus.
Von hier aus hatte sie einen herrlichen Blick über den See, dessen Oberfläche still und unberührt dalag wie ein gigantischer Spiegel, in dem die Sterne und der blassblaue Morgenhimmel reflektiert wurden. Am Horizont stieg ein schwacher Dunst vom Wasser auf. Es war ein leichter Nebel, der sich wie ein dünner Schleier aus einem Märchen oder einer Sage über das Grabmal des Heiligen am gegenüberliegenden Ufer legte und die scharfen, kantigen Konturen des Gebäudes milderte. Es gab keine Grenzen mehr. Wo begann der Himmel, wo das Wasser? Was war Realität, was Traum? Das Grabmal, das noch am Abend zuvor fast zum Greifen nahe gewesen war, schien nun mitten in den Wolken zu schweben wie ein sagenumwobenes Schloss.
Avalon. Oder Xanadu. Mit Wehmut dachte Beatrice an die herrliche Sommerresidenz des Khubilai Khan zurück, in der sie auf einer ihrer beiden seltsamen Zeitreisen mehrere Wochen gelebt hatte. Mittlerweile gehörte Shangdou - so der eigentliche Name dieser Stadt - in das Reich der Sagen, eine Wohnstatt der Elfen, Feen und toten Helden. Wie Dschinkim einer gewesen war.
Beatrice wandte sich vom Fenster ab. Durch die geschlossene Tür hörte sie die Diener. Trotz der frühen Stunde hasteten sie wie aufgeschreckte Hühner durch das Haus, um die zahlreichen Familienmitglieder und Gäste anzukleiden und dabei den hektischen und oft widersprüchlichen Befehlen der Hausherrin zu folgen, deren aufgeregte Stimme unablässig wie ein defekter Feuermelder durch das ganze Haus schrillte. Alles und jeder bereitete sich auf die bevorstehende Hochzeit vor. Sogar die Haustiere - Esel, Schafe, Katzen und Hühner - waren gestriegelt und geschmückt worden. Vermutlich saß auch Yasmina bereits in ihrem Zimmer, bekleidet mit einem wunderschönen und kostbaren Brautschleier, und wartete darauf, dass jemand sie in das Trauungszimmer bringen würde. Trauung, Hochzeit, Ehe. Normale, unbedeutende Worte, die man fast täglich in den Mund nahm, ohne großartig darüber nachzudenken. Trotzdem bekamen sie plötzlich einen unangenehmen, fast schmerzhaften Widerhall in ihrem Kopf. Und sie fragte sich, ob sie selbst wohl jemals ihre eigene Hochzeit erleben würde, ein Fest zu ihren und den Ehren eines Mannes, an dessen Seite sie den Rest ihres Lebens zu verbringen gedachte. Doch schon im nächsten Augenblick ärgerte sie sich über sich selbst. War sie nicht eine emanzipierte, selbstständige Frau? Konnte sie sich nicht glücklich schätzen? Sie hatte einen Beruf, den sie liebte und den sie selbst gewählt hatte, und ein eigenes, von ihr selbst bezahltes Haus, in dem sie sich wohl fühlte. Sie hatte Freunde - natürlich auch männliche. Und sie hatte sogar eine Tochter. Sie war der lebende Beweis, dass jenes Klischee, Frauen sehnten sich im Grunde ihres Herzens nach nichts anderem als einer intakten Familie, antiquiert, verstaubt und grenzenlos überholt war. Und trotzdem, gerade in diesem Moment fühlte sie sich wie eine alte, von Männern verschmähte Jungfer - einsam, hässlich und vertrocknet. Es war einfach lächerlich.
Um sich von diesen sentimentalen Gedanken abzulenken, die letztlich zu nichts führten und höchstens in einer Depression endeten, konzentrierte sie sich ganz auf die junge Braut.
Seit Yasmina kurz nach Sonnenaufgang ihr Zimmer verlassen hatte, zerbrach sich Beatrice den Kopf darüber, wie sie ihr am besten helfen könnte. Auf welche Weise sie dafür sorgen konnte, dass Yasmina auch in Zukunft ihren schriftstellerischen Neigungen nachzugehen vermochte und dass ihre Werke - obwohl sie eine Frau war - veröffentlicht werden würden. Und dann fiel ihr plötzlich ein, dass sie über Yasminas Problem ihre eigenen Schwierigkeiten fast vergessen hatte. Vergessen? Natürlich nicht. Den Anblick ihrer kleinen Tochter auf der Intensivstation, angeschlossen an die piepsenden
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