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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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schlimmer als das leichte Schaukeln einer Elbfähre bei ruhigem Seegang. Zu tun hatten sie nichts. Sie konnten sich noch nicht einmal mit Stickerei oder anderen Handarbeiten die Zeit vertreiben. Das Gespräch war die einzige Beschäftigung. Und da Yasmina sich zunehmend in Schweigen hüllte und Amina, die andere Dienerin, eher von stiller Natur war, blieb Beatrice das einzige Opfer der schwatzhaften Mahtab. Schon nach zwei Tagen wusste Beatrice alles, was es an Wissenswertem über die beiden Dienerinnen, Yasminas Eltern, Brüder und die Dienerschaft in ihrem Elternhaus gab. Sie wusste, dass die schwatzhafte Mahtab überall Zeichen und Omen sah und auch die Existenz von Dschinnen, Hexen, Feen und Elfen nicht ausschloss. Sie las Beatrice die Zukunft aus den Handlinien und prophezeite ihr ein langes, glückliches Leben, einen wohlhabenden Ehemann und nicht weniger als vier Söhne und zwei Töchter.
    Was Beatrice zu Beginn der Reise noch amüsiert hatte, begann ihr schon bald lästig zu werden. In den Jahren ihrer Tätigkeit in der Chirurgie hatte sie sich die Fähigkeit erworben, in jeder nur erdenklichen Lage und Position einschlafen zu können - und sei es aufrecht auf dem Stuhl in der Morgenbesprechung vor den Augen aller Kollegen. Jetzt zahlte sich diese Fähigkeit aus. Sie hörte einfach nicht mehr auf Mahtabs Geschwätz, sondern döste vor sich hin, horchte auf die Stimmen der Männer, die an der Sänfte vorbeiritten, und dachte über die Gespräche nach, die sie in der Oase belauscht hatte. Sie wusste immer noch nicht, wer oder was die Fidawi waren, doch jedes Mal, wenn ihr dieses Wort einfiel, bekam sie aus unerklärlichen Gründen vor Angst Bauchschmerzen. Während sie sich den Kopf darüber zerbrach, nickte sie in unregelmäßigen Abständen ein und gab zustimmende Laute von sich, sodass Mahtab nicht einmal bemerkte, dass sie ihr gar nicht wirklich zuhörte. Dabei hoffte sie inständig, dass die
    Eintönigkeit ihrer Reise irgendwann ihre Wirkung auch auf Mahtab zeigen und ihrem Redefluss endlich ein Ende setzen würde.
    Jeden Abend, wenn die Sonne unterging, hielt die Karawane an. Dann schlugen die Männer rasch ein Zelt für die vier Frauen auf, in dem sie mit verhüllten Gesichtern verschwanden und das sie bis zum nächsten Morgen nicht mehr verließen. Malek war der Einzige, der jeden Abend zu ihnen ins Zelt kam, um sich nach dem Wohlergehen seiner jungen Frau zu erkundigen. Ansonsten langweilten sie sich auch hier tödlich. Zum ungewohnten Nichtstun verdammt, sank Beatrices Laune auf den Tiefpunkt. Sie war so weit, dass sie sogar mit Freuden damit begonnen hätte, ihren Keller aufzuräumen, wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte. Allerdings schien es Yasmina noch schlimmer zu ergehen. Beatrice merkte ihr an, wie es ihr in den Fingern juckte, ihre Erlebnisse und Gedanken niederzuschreiben. Doch vor den wachsamen Augen ihrer Dienerinnen schien sie es nicht zu wagen, Pergament und Federkiel hervorzuholen. Die junge Frau war wie eine Süchtige auf Entzug. Von Stunde zu Stunde wurde sie nervöser und reizbarer, und die Atmosphäre zwischen den vier Frauen knisterte geradezu vor unterdrückten Spannungen.
    Es war gegen Mittag des sechsten Tages. Sie hatten etwa die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, als die Karawane so plötzlich anhielt, dass Amina einen Becher umstieß. Das Wasser ergoss sich über Yasminas Kleidung. Sofort begann sie so laut zu schimpfen und zu zetern, als hätte die Dienerin ein verabscheuungswürdiges Verbrechen begangen. Die ganze angestaute Gereiztheit der vergangenen Tage entlud sich mit der Gewalt einer vulkanischen Eruption. Es war, als hätte Amina versehentlich einen Tropfen Wasser in ein Fass mit Nitroglyzerin fallen lassen.
    Während sich Yasminas ungerechter Zorn immer noch über Aminas geduldigem Haupt ergoss und Mahtab hektisch versuchte die Kleidung ihrer Herrin mit einem Seidentuch zu trocknen, öffnete Beatrice den Vorhang einen Spalt, um zu sehen, was eigentlich geschehen war. War es jetzt etwa so weit? Wurden sie überfallen? Ihr Herz klopfte wie ein Dampfhammer, während sie sich alle möglichen Horrorszenarien ausmalte. Sie sah sich sogar schon nur leicht bekleidet mit Hand- und Fußfesseln auf dem Sklavenmarkt stehen, schutzlos den lüsternen Blicken einer geifernden Schar von dickbäuchigen Männern mit grauen Vollbärten und Halbglatzen ausgesetzt.
    Doch da war nichts. Die Landschaft war mittlerweile so frisch und grün wie der Garten Eden selbst. Das war aber

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