Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
erreicht hatte und neben ihm niederkniete, erhob sich um sie herum ein missmutiges Murren, so als hätten die Männer erst jetzt begriffen, dass es eine Frau gewesen war, die sie zur Seite gestoßen hatte. Zwei der Nomaden waren darüber sogar so erbost, dass sie ihr mit den Fäusten drohten, doch zum Glück gebot Malek ihnen Einhalt.
    »Lasst sie«, sagte er. »Sie weiß, was sie tut. Und außerdem ist Assim mein Bruder.«
    Beatrice sah kurz zu ihm auf. Malek nickte ihr zu. Allerdings machte er den Eindruck, als ob er ein halbes Vermögen gegeben hätte, um seinen eigenen Worten glauben zu können. Doch für beruhigende Worte hatte sie jetzt keine Zeit. Sie wandte ihre ganze Aufmerksamkeit dem Verletzten zu.
    Assim lag mit geschlossenen Augen auf der Seite.
    »Assim?«, sprach sie ihn an, während ihr Blick rasch über ihn hinwegglitt. Er sah nicht aus, als ob er verletzt wäre, nirgendwo konnte Beatrice Blut entdecken, Arme und Beine wiesen keine Deformierungen auf. Selbstverständlich gab es Verletzungen, die keine oder nur geringe äußere Spuren hinterließen. Besonders beim Sturz vom Pferd. Und das war unter Umständen viel gefährlicher als ein Knochenfragment, das sich für jeden Trottel sichtbar durch die Haut gebohrt hatte.
    »Assim, bitte nicht erschrecken, ich werde dich jetzt anfassen, um dich zu untersuchen«, sagte sie, obwohl sie nicht sicher war, dass er sie hörte. Er schien bewusstlos zu sein. Trotzdem. Dies war eine der obersten Regeln aller Notfallmediziner: Immer den Patienten ansprechen, egal, wie tief das Koma zu sein schien.
    Rasch und ohne ihn zu bewegen tastete sie Assims Schädel ab. Glücklicherweise spürte sie dabei nicht das ekelhafte Knirschen und Reiben unter ihren Fingerspitzen, das die Chirurgen Crepitatio nennen und das nur dann auftritt, wenn die Bruchkanten von Knochenstücken gegeneinander reiben. Weder aus den Ohren noch aus der Nase floss Blut, er schien auch kein Brillenhämatom zu entwickeln. So weit sie es in der
    Kürze der Zeit beurteilen konnte, hatte Assim also keine Fraktur des Schädels oder der Schädelbasis erlitten. Das war doch schon mal etwas.
    »Assim?«, fragte sie nochmals und hob seine Augenlider. Der plötzliche Lichteinfall ließ seine Pupillen rasch enger werden. Wunderbar. Er hatte eine Pupillenreaktion, und das sogar gleichmäßig auf beiden Seiten. Ein weiterer Punkt für die Guten. »Assim, kannst du mich hören? Ich bin es, Bea... « Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich bremsen. Sie hustete, um ihre Verlegenheit zu verbergen. »Sekireh«, verbesserte sie sich.
    »Ich weiß!«, flüsterte Assim, ohne die Augen zu öffnen. »Ich habe deine Stimme erkannt.«
    »Schön, dass du bei uns bist, Assim«, sagte sie und strich ihm beruhigend über das dichte schwarze Haar. »Ist dir übel? Hast du irgendwo Schmerzen?«
    »Mein Rücken ...« Assim stöhnte und versuchte seinen Arm so zu drehen, dass er Beatrice die Stelle zeigen konnte, doch sie hielt ihn zurück.
    »Nicht, Assim, jetzt nicht bewegen. Ich werde deinen Rücken zuerst untersuchen. Dafür brauche ich deine Hilfe. Du musst meine Fragen beantworten und genau das tun, was ich dir sage, aber auf gar keinen Fall mehr. Hast du mich verstanden?«
    »Ja.«
    »Gut.«
    Überaus vorsichtig tastete sie die Hals- und Brustwirbelsäule des Jungen ab. Sie hatte noch nicht einmal die Mitte der Wirbelsäule erreicht, als Assim vor Schmerz stöhnte.
    »Dort tut es weh?« »Ja.«
    Sie tastete vorsichtig den Bereich ab, und trotz der Erfahrungen von zehn Jahren chirurgischer Tätigkeit wurde ihr schlecht. Die Dornfortsätze zweier Wirbelkörper ließen sich bewegen wie bei diesen Gummiskeletten, die es um Halloween herum überall in den Läden zu kaufen gab. Anatomisch gesehen war das eine Unmöglichkeit.
    »Was ist passiert?«, fragte sie, während sie noch vorsichtiger als bisher Wirbelkörper für Wirbelkörper bis zur Lendenwirbelsäule nach unten abtastete und dabei nach weiteren Frakturen suchte. »Kannst du dich daran erinnern?«
    »Mein Pferd' hat gescheut. Vielleicht war eine Schlange im Gras oder eine Maus, ich weiß es nicht. Jedenfalls konnte ich mich nicht mehr im Sattel halten. Und dann bin ich gefallen.«
    »Auf den Rücken?«
    »Ja.«
    Beatrice presste die Lippen zusammen. Eine Wirbelkörperfraktur war immer eine überaus heikle Angelegenheit. Noch schlimmer wurde die Sache dadurch, dass sie hier keine vernünftigen diagnostischen Möglichkeiten hatte. Sie konnte ja noch nicht einmal ein

Weitere Kostenlose Bücher