Das Auge der Fatima
Auch ich traue Jaffar nicht eine Handbreit über den Weg. Aber du vergisst, dass wir durch gefährliches Gebiet reisen müssen. Räuber und Sklavenhändler lauern überall, hinter jedem Hügel, hinter jedem Felsvorsprung. Wie sollten wir allein meine junge Gemahlin vor dieser tödlichen Gefahr beschützen?«
»Und doch wäre es klüger gewesen«, sagte Murrat grimmig, »denn jetzt müssen wir auch noch die Nomaden im Auge behalten. Wer weiß, vielleicht steckt dieses Pack sogar mit den Räubern unter einer Decke. Möglich, dass sie uns geradewegs in einen Hinterhalt führen. Lohnen würde es sich. Allein die Schimmel sind ein Vermögen wert. Und ich möchte nicht wissen, welche Schätze die Juwelenhändler in ihren Taschen herumtragen.«
»Murrat, glaubst du nicht, dass du mal wieder alles viel zu schwarz siehst?«, fragte Kemal, der Zweitälteste der vier Brüder mit seiner stets ruhigen und sanften Stimme. »Nur weil diese Männer zum Volk der Nomaden gehören, muss das noch lange nicht heißen, dass sie Betrüger sind.«
Doch Murrat verzog verächtlich die Mundwinkel. »Ich habe noch nie einen Nomaden getroffen, dem ich vertrauen konnte. Du etwa?«
»Nun, wenn ich ehrlich bin, steht mir darüber kein Urteil zu«, erwiderte Kemal mit einem sanften Lächeln. »Diese Männer sind nämlich die ersten Nomaden, deren nähere Bekanntschaft ich machen darf.«
Murrat schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. Es sah nicht so aus, als würden ihn die Worte seines Bruders überzeugen.
»Hast du denn nie zugehört, wenn Großvater berichtet hat, wie er ...«
»Kemal hat Recht, Murrat«, lenkte Malek ein. »Wir wissen nichts über Jaffar und seine Männer. Wir sollten erst einmal abwarten.«
»Ja habt ihr denn alle keine Augen im Kopf?«, rief Murrat aus. »Vier Männer als Begleitung für eine Karawane! Noch dazu eine, welche die Mitgift einer wohlhabenden frisch vermählten Frau und die Waren von Juwelenhändlern transportiert. Das stinkt doch zum Himmel! Allah allein mag wissen, was diese Kerle im Schilde führen. Aber wenn ihr tatsächlich erst darauf warten wollt, dass sie uns ausrauben, verschleppen oder gar töten, so solltet ihr euch besser jetzt gleich ...«
»Murrat!« Maleks Stimme klang scharf. »Sei jetzt sofort still. Assim beginnt bereits sich zu fürchten!«
»Tu ich gar nicht«, mischte sich Assim empört ein. »Ich fürchte mich überhaupt nicht. Behandle mich nicht immer wie ein Kind, Malek. Ich bin schon fast vierzehn. Ich kann selber ...«
»Schweig!«, riefen Murrat und Malek gleichzeitig. Assim hielt seinen Mund. Doch er verschränkte seine Arme vor der
Brust, runzelte zornig die Stirn und stampfte mit dem Fuß auf. Ohne dass er es wollte, sah er jetzt wirklich wie ein Kind aus. Wie ein schmollender unzufriedener, kleiner Junge, der es nicht ertragen konnte, von seinen großen Brüdern fortgeschickt worden zu sein, die lieber ohne ihn Fußball spielen wollten.
»Malek, höre mir zu. Diese Karawane besteht aus mindestens dreißig Personen. Dazu kommt noch etwa die doppelte Anzahl an Pferden«, begann Murrat die Diskussion wieder. »Sogar für den Fall, dass die Nomaden nicht mit dem Räubergesindel unter einer Decke stecken sollten, wird so eine stattliche Karawane Schurken aus dem ganzen Land anlocken wie Pferdemist die Fliegen. Dieses elende Geschmeiß wird sich wie ausgehungerte Geier auf uns stürzen. Und wenn sich dann nicht herausstellen sollte, dass die Nomaden über besondere Fähigkeiten oder gar Zauberkräfte verfügen, werden wir Gazna niemals lebend erreichen.«
Malek seufzte hörbar. »Ich weiß, Murrat. Auch ich kann mir nur schwer vorstellen, woher Jaffar seine Selbstsicherheit nimmt, mit nur vier Männern diese Karawane ausreichend beschützen zu wollen«, sagte er. »Aber du vergisst eines, mein Bruder. Jaffar und seine Männer sind nicht die Einzigen auf unserer Reise, die es verstehen, mit Schwert und Dolch umzugehen. Über die Juwelenhändler und ihre Diener kann ich zwar kein Urteil fällen, aber wir sind immerhin auch noch da. Und mit uns, mein Bruder, sind es mindestens acht Männer, die in der Lage sind ...«
»Neun!«, rief Assim empört dazwischen. »Immer vergesst ihr mich. Ich kann doch auch ...«
Murrat packte den Griff seines Schwertes.
»Jawohl«, sagte er grimmig, ohne auf Assims Einwand zu achten. »Beim Heiligtum von Mekka, du kannst dich darauf verlassen, dass ich meine Augen offen halten werde. Ich werde deine junge Braut beschützen, Malek,
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