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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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auch schon alles. Sie sah weder Reiterhorden in der Ferne, die sich ihnen rasch näherten, noch Staubwolken, und es gab auch keinen Lärm, der auf einen Kampf hätte schließen lassen. Das Einzige, was sie hörte, war Murrats gereizte Stimme. Aber nicht einmal das war ungewöhnlich.
    »Wir hätten den Kleinen zu Hause lassen sollen!«, sagte er gerade zu seinem Bruder Kemal, während die beiden an der Sänfte vorbeiritten.
    Das klang, als ob sie über Assim sprachen. Aber warum? War etwas geschehen? Hatte der Junge eine Dummheit begangen? Angestrengt schaute Beatrice hinaus, verrenkte sich beinahe den Hals und versuchte zu verstehen, was draußen vor sich ging, während Yasmina in ihrem Rücken immer noch schimpfte. Jetzt richtete sich ihr Zorn jedoch gegen Mahtab.
    Endlich, nachdem mindestens eine halbe Ewigkeit vergangen sein musste, kam Malek her angeritten. Gerade noch im richtigen Augenblick zog Beatrice den Vorhang wieder zu, bevor er den Kopf zu ihnen in die Sänfte steckte. Und sofort wusste sie, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste. Der junge Mann war kreidebleich.
    »Was ist los, Malek?«, fragte Yasmina, die sich offenbar durch den Anblick ihres Ehemannes schlagartig wieder beruhigt hatte. »Warum bleiben wir stehen und setzen unsere Reise nicht fort?«
    »Assim«, antwortete Malek mit so unheilschwerer Stimme, dass Beatrice mit dem Schlimmsten rechnete. »Er ist weit vorausgeritten, weil er die Gegend erkunden wollte. Er war allein, niemand war bei ihm, als es geschehen ist. Einer der Nomaden hat ihn gefunden. Er muss vom Pferd gestürzt sein.«
    »Und?«, mischte sich Beatrice ein. »Wie geht es ihm? Ist er verletzt?«
    Vielleicht war Malek ein fortschrittlicher junger Mann, der die strengen Sitten seiner Landsleute nicht so ernst nahm. Vielleicht war er aber auch einfach nur zu schockiert durch den Unfall seines Bruders, um Beatrices unverschämtes Verhalten zu bemerken und sie dafür zu tadeln. Oder es lag an ihrer ungeduldigen »Chirurgenstimme«, wie ihr Vater es immer nannte, wenn sie etwas sofort wissen wollte und keinen Widerspruch duldete. Malek sah sie zwar überrascht an, antwortete jedoch gehorsam.
    »Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Er liegt regungslos auf der Erde. Er steht nicht auf und gibt auch keine Antwort. Keiner wagt es, ihn anzurühren. Es macht fast den Eindruck, als hätte ihn ein Blitz getroffen und zu Boden geschmettert.«
    »Ich muss sofort zu ihm«, sagte Beatrice und schob Amina unsanft zur Seite, um aus der Sänfte steigen zu können.
    »Aber Sekireh, was ...«, begann Yasmina.
    »Ich muss ihn mir ansehen«, erklärte Beatrice. »Vielleicht kann ich ihm helfen.«
    Sie schob sich an Malek vorbei aus der Sänfte hinaus und blickte sich um.
    »Wo ist er?«, fragte sie Malek.
    »Dort«, antwortete er und zeigte sichtlich verwirrt zur Spitze ihres Zuges. »Dort vorne haben wir ihn gefunden. Aber ...«
    »Lass mich zu dir in den Sattel steigen, Malek«, sagte Beatrice. »Dann bin ich schneller bei ihm. Und je eher, umso besser.«
    »Aber was willst du von meinem Bruder?« Der junge Mann schien allmählich wütend zu werden. »Was führst du im Schilde, Weib? Bist du von Sinnen? Warum ...«
    »Ich bin Ärztin«, antwortete Beatrice, ohne darüber nachzudenken, dass diese Botschaft wohl kaum in Maleks Weltbild passte. »Ich bin der Heilkunde mächtig, wenn du so willst. Und ich versichere dir, wenn es jemanden in dieser Karawane gibt, der deinem Bruder - vielleicht - noch helfen kann, dann bin ich es.« Sie machte eine Pause und sah ihn streng an. »Nun, was ist? Willst du mich jetzt endlich zu ihm bringen, bevor wirklich jede Hilfe zu spät kommt?«
    Offenbar wusste Malek der Autorität einer Frau, die sich im 21. Jahrhundert als allein erziehende Mutter in einem Männerberuf zu behaupten verstand und zusätzlich Erfahrungen mit zwei Zeitreisen hatte, nichts entgegenzusetzen. Sprachlos vor Überraschung klappte er seinen Mund wieder zu und zog Beatrice gehorsam zu sich in den Sattel hinauf. Dann trat er seinem Pferd in die Flanken, und sie ritten los, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her.
    Schon von weitem sahen sie die Männer, die einen engen Kreis bildeten. Die abergläubischen Nomaden murmelten vor sich hin und malten mit den Daumen seltsame Zeichen auf ihre Stirnen, einige der Händler riefen Allah um Hilfe und Vergebung an. Beatrice glitt vom Pferd und bahnte sich unter Schubsen und Drängeln einen Weg durch die Menge. Erst als sie den Verletzten

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