Das Auge der Fatima
Erleichterung.
»Was ist mit mir?«, fragte Assim.
Beatrice beugte sich wieder über sein Gesicht, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen konnte.
»Du hast dir beim Sturz die Wirbelsäule verletzt«, sagte sie und strich ihm über das Haar. »Aber du brauchst keine Angst zu haben. Du wirst bald wieder gesund werden. In ein paar Wochen wirst du wieder aufstehen und reiten und vom Pferd fallen können. Vorausgesetzt, du bist ein braver Junge und tust genau das, was ich dir sage.«
»Ja«, erwiderte er und sah sie mit dem vertrauensvollen, treuen Blick eines Hundes an. »Ich werde alles tun, was du von mir verlangst.«
»Ich weiß«, sagte sie und lächelte. »Du wirst den Rest unserer Reise auf dieser Trage verbringen. Du darfst deine Arme bewegen und deinen Kopf nach rechts und links drehen, mehr nicht. Du mussf versuchen deine Beine still zu halten und den Kopf nicht anzuheben. Und auf gar keinen Fall und unter gar keinen Umständen darfst du dich aufsetzen. Hast du mich verstanden?«
Assim nickte vorsichtig und langsam.
»Ich lasse dich in die Sänfte bringen, Assim«, sagte Beatrice und erhob sich. »Yasmina wird sich um dich kümmern und versuchen dir die Zeit ein wenig zu vertreiben. Sie kennt viele Geschichten und Gedichte, die sie dir bestimmt gern erzählen wird. Du magst doch Geschichten?«
Der Junge nickte wieder.
»Murrat, Kemal!«, kommandierte Malek seine beiden Brüder. »Ihr habt Sekireh gehört. Bringt Assim in die Sänfte.«
»Aber seid um alles in der Welt vorsichtig«, ermahnte Beatrice sie noch. »Ihr dürft auf keinen Fall stolpern.«
Die beiden Brüder hoben behutsam die Trage vom Boden auf und trugen sie langsam, jeden Schritt sorgfältig erwägend, zu der Sänfte zurück. Nachdem sich Murrat und Kemal mit der Trage entfernt und die Menschenmenge sich etwas zerstreut hatte, packte Malek Beatrice am Arm und zog sie zur Seite.
»Was ist wirklich mit meinem Bruder?«, fragte er leise und eindringlich. »Du hast ihm nicht die volle Wahrheit gesagt, das sehe ich dir an. Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren. Solange mein Vater und meine Mutter nicht bei ihm sind, bin ich als sein ältester Bruder für Assim verantwortlich. Also sprich endlich!«
Beatrice holte tief Luft. Sie wollte Malek ja gern die Wahrheit sagen, aber wie?
»Assim hat sich die Wirbelsäule gebrochen«, begann sie. »Das ist, ähnlich wie ein Beinbruch, an sich nicht lebensbedrohlich. Außerdem habe ich ihn gründlich untersucht, er hat bisher keine Schäden davongetragen. Aber sollte er in der Zeit, die seine Knochen für die Heilung benötigen, eine falsche Bewegung machen oder abermals stürzen, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Verletzung schwerwiegender wird.«
»Was willst du damit sagen?« Malek sah sie voller Angst an. »Ich verstehe nicht, was du ...«
»Um es ganz deutlich auszudrücken, bei falscher Behandlung besteht die Gefahr, dass Assim gelähmt wird. Für immer.«
Malek wurde kreidebleich. »Ein Krüppel?«, flüsterte er. »Allah! Das darf nicht geschehen! Meine Eltern waren ohnehin dagegen, dass er uns nach Qum begleitet. Und sie haben nur eingewilligt, weil Assim nicht aufhören wollte, sie anzuflehen. Sie haben ihn mir anvertraut, und ich habe ihnen mein Wort gegeben, dass ihm nichts zustoßen wird. Wenn er nun für den Rest seines Lebens ein lahmer Krüppel bleiben sollte ... Ich würde es mir nie verzeihen. Nie wieder könnte ich meinem Vater oder meiner Mutter unter die Augen treten.« Er drückte Beatrices Arm so fest, dass es schmerzte. »Ich weiß nicht, wer oder was du bist, Weib, aber ich flehe dich an, tu alles, was in deiner Macht steht, um meinen jüngsten Bruder vor diesem furchtbaren Schicksal zu bewahren. Bitte!«
»Was ich konnte, habe ich bereits getan, Malek. Jetzt liegt Assims Schicksal in den Händen Allahs. Bitte Ihn um seine Gnade. Und sorge du ebenso dafür, wie ich es auch tun werde, dass Assim so lange ruhig liegen bleibt, bis die Knochen seiner Wirbelsäule geheilt sind. Dann wird er in einigen Wochen wieder fröhlich umherlaufen, als wäre niemals etwas gewesen.«
»Das verspreche ich«, sagte Malek eifrig. »Und ich schwöre bei Allah und allen Seinen Heiligen: Sollte mein Bruder wirklich wieder ganz gesund werden, so werde ich dich so reich belohnen, wie noch nie eine Frau vor dir belohnt wurde. Man soll dir den Titel »Größte Heilerin aller Zeiten< verleihen und ...«
»Lass gut sein, Malek. Darüber sollten wir besser erst dann reden, wenn es so weit
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