Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
Rückenmark und wie weit der Heilungsprozess bereits fortgeschritten war, darüber tappte sie im Dunkeln. Jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte, tröstete sie sich damit, dass der Junge keine sensiblen Ausfälle hatte und die Motorik ebenfalls intakt zu sein schien. Wenigstens bisher.
    »Nein, es gibt keinen anderen Weg. Assim wird wieder laufen können, so als wäre nichts gewesen«, sagte sie zum wiederholten Male. Gespräche wie dieses führte sie mit Malek jeden Tag mehrmals. »Ich habe ihn oft genug untersucht, alle Ergebnisse sprechen dafür, aber nur, wenn er wirklich still liegen bleibt. Solange die Knochen seiner Wirbelsäule nicht vollständig geheilt sind, kann jede unbedachte Bewegung seine Nerven so stark schädigen, dass er für den Rest seines Lebens an das Bett gefesselt bleiben wird. Assim wird durchhalten müssen, ob er will oder nicht.«
    »Aber wie soll er das schaffen?«, fragte Malek. Der junge Mann war sichtlich verzweifelt. »Assim ist noch nicht mal vierzehn, er ist doch noch fast ein Kind. Er liebt es zu reiten und gemeinsam mit seinen Freunden auf die Falkenjagd zu gehen. Wie soll er sich nur so lange im Zaum halten? Und wenn er dann für immer ...«
    Er schloss die Augen und klammerte sich am Pfosten des Baldachins fest, als wäre ihm plötzlich schwindlig geworden. Offensichtlich machte er sich immer noch schwere Vorwürfe.
    Er war blass, und seine Lider waren gereizt, als hätte er seit langer Zeit keinen Schlaf mehr gefunden. Vermutlich grübelte er Tag und Nacht darüber nach, auf welche Weise er den Unfall seines Bruders hätte verhindern können.
    »Mach dir keine Sorgen um ihn, Malek«, sagte Beatrice und legte ihm tröstend eine Hand auf den Arm. Sie hätte ihm gern geholfen, ihm die Last der Schuldgefühle abgenommen oder wenigstens erleichtert, aber sie war schließlich Chirurgin und kein Psychologe. An therapeutischen Möglichkeiten stand ihr kaum mehr zur Verfügung als ihr Mitgefühl. Und natürlich ihre chirurgischen Kenntnisse. »Assim ist sehr viel stärker und zäher, als du glaubst. Er weiß, was für ihn auf dem Spiel steht. Und deshalb bin ich sicher, dass er sich an meine Anweisungen halten wird.«
    »Hast du es ihm etwa gesagt?«
    »Natürlich. Warum hätte ich es ihm verschweigen sollen? Er ist alt genug, um Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Und nur wenn er die Wahrheit kennt, wird er auch bereit sein, meinen Anordnungen Folge zu leisten.« Sie warf einen kurzen Blick auf Assim. »Eigentlich wollte ich ihn jetzt untersuchen, doch wir sollten ihn noch schlafen lassen. Ich komme später wieder, sobald er aufgewacht ist. Und du solltest auch gehen, etwas essen, einen Mokka trinken und dir ein wenig Ruhe gönnen. Die Diener werden uns bestimmt rufen, sobald er aufwacht.«
    Und mit sanfter Gewalt schob sie den jungen Mann aus dem Zimmer. Draußen vor der Tür sah Malek Beatrice lange an - neugierig, bewundernd.
    »Du bist eine seltsame Frau, Beatrice«, sagte er schließlich, als ihr sein Blick schon unangenehm wurde und sie sich zu fragen begann, was Yasmina wohl denken würde, wenn sie ihren frisch angetrauten Ehemann hier so mit ihr sehen würde. »Niemand von uns weiß, woher du eigentlich kommst. Keiner kennt deine wahren Absichten. Du hast uns belogen und uns einen falschen Namen genannt. Und doch hast du bereits jetzt mehr für meine Familie getan, als wir dir jemals werden vergelten können. Du bist klug. Du kennst dich in der Heilkunde besser aus als die besten Ärzte in Gazna. Du erteilst Männern so furchtlos Befehle, als wärst du ihr Hauptmann. Ich kann mit dir sprechen wie mit einem meiner Brüder, meiner Freunde oder meinem Vater, und du sagst deine Meinung, auch wenn sie nicht mit meiner übereinstimmt. Und doch bist du eine Frau. Eine Frau, die imstande ist, mit ihrer Schönheit und Anmut den Geist eines Mannes zu betören.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Murrat hält dich für eine Hexe. Doch wäre eine Hexe in der Lage, so schön, so klug und gleichzeitig so warmherzig und selbstlos zu sein?«
    Beatrice schluckte und wich Maleks Blick aus. Ihr wurde heiß, und am liebsten hätte sie einen Vorwand gefunden, das Gespräch auf der Stelle abzubrechen. Falls Malek zudringlich werden sollte, was sollte sie dann tun? Ihm eine Ohrfeige geben? Einfach davonlaufen? Um Hilfe schreien? Oder sollte sie dieser Flut von maßlos übertriebenen Komplimenten mit einigen mit Ironie und Zynismus gewürzten Worten begegnen?
    Sei vernünftig,

Weitere Kostenlose Bücher