Das Auge der Fatima
Männer?«
»Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob sie bei ihnen ist. Ich weiß nur, was ich in der Oase gehört habe. Michelle war dort in Begleitung eines Mannes. Die beiden waren nur auf der Durchreise und haben die Oase gleich am nächsten Tag wieder verlassen. Und die Fi... « Sie räusperte sich, als sie sich daran erinnerte, dass Malek sie gebeten hatte, dieses Wort nicht auszusprechen. »Diese Männer suchen meine Tochter. Sie sind hinter ihr her. Wahrscheinlich, weil sie etwas besitzt, das sie selbst gern hätten.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe in der Oase ein Gespräch belauscht«, erklärte Beatrice. »Diese Männer haben andere damit beauftragt, nach meiner Tochter Ausschau zu halten.«
Malek runzelte die Stirn und kaute an seiner Unterlippe.
»Gib mir Zeit, Beatrice«, sagte er schließlich. »Ich möchte dir wirklich gern helfen, aber es ist gefährlich, sehr gefährlich. Wenn du wüsstest, wer sie sind ...« Er schüttelte sich, als ob ein eiskalter Schauer über seinen Rücken gelaufen wäre. »Ich muss erst darüber nachdenken und mit meinen Brüdern sprechen, welcher Weg der beste ist.« Er schob den Teppich beiseite und trat auf den Gang hinaus. »Ich bitte dich, habe noch etwas Geduld. Nur ein paar Tage.«
Mit langen Schritten ging Malek davon. Beatrice sah ihm nach. Sie war erleichtert und enttäuscht zugleich. Erleichtert, weil sie die ersehnte Hilfe gefunden hatte, enttäuscht, weil nicht sofort etwas geschah.
Geduld! Nur noch ein paar Tage!, dachte sie. Malek hat gut reden.
Was konnte alles in ein paar Tagen geschehen? Doch durfte sie eines nicht vergessen, sie war nicht zu Hause. Im 21. Jahrhundert, im Zeitalter von PC und Internet geschah immer alles sofort, innerhalb weniger Minuten oder wenigstens Stunden. Mit dem Flugzeug legte man Strecken innerhalb kürzester Zeit zurück, für die man im Mittelalter Jahre gebraucht hätte. Und per Knopfdruck oder Mausklick gelangte man in Sekundenschnelle beinahe an jede gewünschte Information. Die Menschen im Mittelalter rechneten in ganz anderen Zeiträumen. Das galt nicht nur für Malek, sondern auch für die Fidawi. Auch sie kamen nur so schnell von einem Ort zum anderen, wie ein Mann, ein Pferd oder ein Kamel laufen konnte. Das war wenigstens ausgleichende Gerechtigkeit. Und es musste als Trost ausreichen.
Doch Beatrices Geduld wurde gar nicht auf eine so harte Probe gestellt, wie sie befürchtet hatte. Schon zwei Tage danach kam Malek zu ihr.
Es war spät in der Nacht. Der Abend war lang und anstrengend gewesen. Am Vortag war eine schon lange ersehnte Karawane mit Teppichen aus dem Süden endlich in Gazna eingetroffen, und das Haus war seit den Mittagsstunden voller Gäste, die gemeinsam mit dem Karawanenführer, seinen Söhnen und der Familie des Teppichhändlers den glücklichen Ausgang der Reise feiern wollten. Nun waren die letzten Gäste endlich gegangen. Beatrice lag im Bett und versuchte die quälenden Gedanken an Michelle zu verdrängen, um wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf zu finden, als plötzlich die Tür geöffnet wurde und eine weiße Gestalt in ihr Zimmer huschte.
Beatrice setzte sich kerzengerade in ihrem Bett auf.
»Wer bist du?«, zischte sie und griff instinktiv zu dem Messingkrug, der auf einem niedrigen Tisch neben ihrem Bett stand. Er war aus reinem, massivem Messing gearbeitet und sehr schwer. Auf jeden Fall schwer genug, um zur Not einen erwachsenen Mann außer Gefecht zu setzen. »Los, nenne mir deinen Namen, oder ich schreie.«
»Hab keine Angst, Beatrice, ich bin es.«
Obwohl der nächtliche Eindringling flüsterte, erkannte sie, dass es sich um einen Mann handelte. Und seine Stimme war ihr nicht fremd. Zaghaft tastete sie nach der Öllampe und zündete den Docht wieder an.
»Malek!«, rief sie überrascht aus, als das Licht auf den jungen Mann fiel. »Was machst du denn hier? Weißt du denn nicht, wie spät es ist? Es ist mitten in der Nacht.«
»Ich weiß, ich weiß«, entgegnete Malek hastig und legte beschwörend einen Finger auf die Lippen. »Bitte sei leise, niemand soll mitbekommen, dass ich hier bin. Wusstest du, dass Assim angefangen hat zu schreiben? Es sind wunderbare Verse, so schön, wie ich sie noch nie zuvor gelesen habe.«
»Tatsächlich?«, sagte Beatrice und tat erstaunt. Malek brauchte nichts von der Übereinkunft zwischen seiner hochbegabten Frau und seinem hilfsbereiten, warmherzigen Bruder zu wissen.
»Ja. Sobald die Karawane wieder aufbricht, werden wir seine Werke nach
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