Das Auge des Leoparden
menschliches Antlitz, überlegt er vage, und genau das macht die Barbarei so unmenschlich.
Der Regen trommelt auf das Autodach herab, und er wartet darauf, daß die Sicht wieder besser wird. Ich könnte mich jetzt und hier entscheiden, denkt er. Den Beschluß fassen, fortzugehen, die Farm zu verkaufen, nach Schweden zurückzukehren. Wieviel Geld Patel für mich außer Landes geschafft hat, weiß ich zwar nicht so genau, aber am Hungertuch werde ich sicher nicht nagen. Ein paar Jahre Atempause hat die Farm mir verschafft.
Irgend etwas an Afrika macht mir heute noch genausoviel Angst wie damals, als ich auf dem Lusaka International Airport aus dem Flugzeug stieg. Zwanzig Jahre Erfahrung auf diesem Kontinent haben im Grunde nichts verändert, weil ich den weißen Ausgangspunkt nie in Frage gestellt habe. Was könnte ich eigentlich antworten, wenn mich jemand bitten würde zu berichten, was auf diesem Kontinent geschieht? Ich habe zahlreiche Erinnerungen – abenteuerliche, schreckliche, exotische. Aber ich weiß nur wenig.
Plötzlich hört es auf zu regnen, die Wolkenwand wird hochgezogen, und die Landschaft beginnt wieder zu trocknen. Ehe er den Motor wieder anläßt, beschließt er, täglich eine Stunde seiner Zukunft zu widmen.
Auf der Farm ist alles ruhig, es scheint nichts vorgefallen zu sein. Zufällig begegnet er Eisenhower Mudenda, der sich bis zum Boden verbeugt. Als Weißer in Afrika spielt man in einem Stück mit, von dem man nichts ahnt, denkt er. Nur die Schwarzen kennen die nächsten Stichworte. Jeden Abend errichtet er Barrikaden, kontrolliert seine Waffen und zieht von einem Zimmer zum nächsten. Jeden Morgen fällt ihm ein Stein vom Herzen, und er fragt sich, wie lange er das noch durchhalten kann. Ich kenne meine Schmerzgrenze noch nicht, denkt er. Aber irgendwo verläuft sie.
Eines Nachmittags parkt Lars Håkansson sein glänzendes Auto wieder vor seiner Lehmhütte, und Hans Olofson freut sich, ihn zu sehen. Der Entwicklungshelfer rechnet damit, daß er zwei Nächte bleiben wird, und Hans Olofson beschließt hastig, seine inneren Barrikaden in aller Stille zu organisieren.
Als es Abend wird, sitzen sie gemeinsam auf der Terrasse.
»Warum geht man nach Afrika?« sagt Hans Olofson. »Warum vertreibt man sich selbst? Wahrscheinlich frage ich dich, weil ich es leid bin, mich selber zu fragen.«
»Ich glaube kaum, daß ein Entwicklungshelfer der richtige Ansprechpartner für deine Frage ist«, antwortet Lars Håkansson. »Jedenfalls nicht, wenn du eine ehrliche Antwort hören möchtest. Unter der glatten Oberfläche idealistischer Motive verbirgt sich ein Geflecht aus egoistischen und materiellen Gründen. Wenn man einen Auslandskontrakt unterzeichnet, hat man die Chance, wohlhabend zu werden und dabei auch noch ein angenehmes Leben zu führen. Der schwedische Wohlfahrtsstaat begleitet dich überallhin und übertrifft sich selbst, wenn es um hochdotierte Experten in der Entwicklungshilfe geht. Wenn du Kinder hast, sorgt der schwedische Staat für das beste Ausbildungsangebot, du lebst in einer Randzone, in der praktisch alles möglich ist. Kaufe bei der Einreise in ein Land wie Sambia zollfrei ein Auto und verkaufe es anschließend zum Listenpreis, und du hast genügend Geld zum Leben und brauchst dein Gehalt nicht anzurühren, das sich auf einem Bankkonto irgendwo auf der Welt anhäuft. Du hast ein Haus mit Pool und Bediensteten und lebst wie auf einem schwedischen Herrensitz. Ich habe ausgerechnet, daß ich in einem Monat so viel verdiene wie meine Hausangestellte in sechzig Jahren. Dabei lege ich den Wert meiner Devisen auf dem Schwarzmarkt zugrunde. In Sambia gibt es keinen Entwicklungshelfer, der sein Geld jemals zum offiziellen Kurs in einer Bank getauscht hätte. Eine Leistung, die in einem vernünftigen Verhältnis zu unserem Einkommen steht, erbringen wir auch nicht. Sollte der schwedische Steuerzahler eines Tages begreifen, wohin sein Geld fließt, wird die Regierung die nächste Wahl verlieren. Der schwedische Steuerzahler hat die Entwicklungshilfe nach vielen Jahren endlich akzeptiert. Tatsächlich ist Schweden eines der wenigen Länder in der Welt, in dem der Solidaritätsgedanke noch etwas bedeutet. Aber die Leute wollen natürlich, daß man sinnvoll mit ihren Steuergeldern umgeht, und das geschieht nur äußerst selten. Die Geschichte der schwedischen Entwicklungshilfe ist wie ein Riff, an dem zahllose Projekte Schiffbruch erlitten haben. Viele waren skandalös, einige wenige wurden
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