Das Auge des Leoparden
bin Journalist und habe in der zwielichtigen Landschaft recherchiert, zu der Rustlewood Farm geworden ist. Die Wahrheit kommt an den Tag, denn niemand hat Angst, daß die Toten zu Wiedergängern werden, weil ihre Köpfe vom Körper abgetrennt wurden. Die schwarzen Arbeiter reden, eine unbekannte Welt bekommt Konturen. Ich hatte vor, in den nächsten Tagen zu dir zu kommen und dir davon zu erzählen.«
»Warum nicht jetzt?« sagt Hans Olofson.
»Ich bin gern auf deiner Farm«, antwortet Peter Motombwane. »Ich hätte gerne dort gelebt. Auf deiner Terrasse kann man über alles reden.«
Hans Olofson glaubt auf einmal einen Hintersinn in Peter Motombwanes Worten zu hören. Ich kenne ihn nicht, schießt es ihm durch den Kopf. Abgesehen von unseren Gesprächen und gemeinsam verbrachten Abenden werden wir immer wieder auf die grundlegende Tatsache zurückgeworfen, daß er ein schwarzer Afrikaner und ich ein weißer Europäer bin. Die Unterschiede zwischen den Kontinenten werden immer dann besonders deutlich, wenn sie von zwei Individuen repräsentiert werden.
»Zwei tote und zerstückelte Körper«, sagt Peter Motombwane. »Zwei Europäer, die hier seit vielen Jahren leben, werden von unbekannten Schwarzen ermordet und entstellt. Ich beschloß, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und Licht ins Dunkel zu bringen. Es war doch möglich, daß ich mich irrte und es doch kein Zufall war, daß es ausgerechnet die Mastertons traf? Also begann ich mit meinen Nachforschungen, und allmählich entstand das Bild einer verborgenen Welt. Eine Farm ist immer etwas Abgeschlossenes, die weißen Besitzer errichten sichtbare und unsichtbare Zäune um sich und ihre Arbeiter herum. Ich spreche mit den Schwarzen, füge lose Gerüchte zu einem Ganzen zusammen, das plötzlich deutlich zu werden beginnt. Ich stehe einem Motiv gegenüber, das sich mehr und mehr bestätigt. Werner und Ruth Masterton wurden nicht zufällig ermordet. Ganz sicher kann ich es natürlich nicht wissen, denn Zufälle und bewußte Entscheidungen können durch unsichtbare Fäden miteinander verwoben sein.«
»Erzähl mir die Geschichte der Schatten«, sagt Hans Olofson.
»Immer deutlicher wurde das Bild von zwei Menschen mit einem vollkommen irrationalen Haß auf die Schwarzen«, berichtet Peter Motombwane. »Von einem Terrorregime mit ständigen Drohungen und Bestrafungen. Früher schlug man uns mit Peitschen, die aus den Häuten von Flußpferden gefertigt wurden. Das wäre sicher nicht mehr möglich. Heute sind die Peitschen unsichtbar und hinterlassen ihre Narben nur in der empfindlichen Haut von Herz und Gehirn. Die Schwarzen, die auf Rustlewood Farm arbeiteten, lebten unter einem pausenlosen Sperrfeuer aus Demütigungen und angedrohten Entlassungen, erniedrigenden Versetzungen, Bußgeldern und Aussperrungen. Ein Stück Südafrika in unserem Land taucht auf, ein hemmungsloser Rassismus. Ruth und Werner Masterton lebten vor allem von der Verachtung, die sie sorgsam pflegten.«
»Das kann ich nicht glauben«, widerspricht Hans Olofson. »Ich kannte sie. Du durchschaust die Lügen nicht, die du aus dieser Schattenwelt ans Licht holst.«
»Ich verlange nicht, daß du mir glaubst«, sagt Peter Motombwane. »Was ich dir sage, ist die schwarze Wahrheit.«
»Eine Lüge kann niemals wahr werden, egal, wie oft du sie wiederholst«, antwortet Hans Olofson. »Die Wahrheit richtet sich nicht nach der Farbpalette, zumindest sollte sie es in einem freundschaftlichen Gespräch nicht tun.«
»Die Aussagen gingen alle in eine Richtung«, sagt Peter Motombwane, »und stimmten bis in die Details überein. Angesichts dessen, was ich erfahren habe, kann ich über ihr Schicksal nur mit den Schultern zucken. Ich finde, es war gerecht.«
»Diese Schlußfolgerung macht eine Freundschaft zwischen uns unmöglich«, erwidert Hans Olofson und steht auf.
»Ist sie denn jemals möglich gewesen?« fragt Peter Motombwane ungerührt.
»Ich habe daran geglaubt«, antwortet Hans Olofson. »Zumindest war es mein aufrichtiger Wunsch.«
»Ich bin es nicht, der sie unmöglich macht«, erwidert Peter Motombwane. »Du bist es, der die Freundschaft zu einem Lebenden vorzieht und es nicht wagt, einer Wahrheit über Verstorbene ins Auge zu sehen. Was du sagst, ist rassistisch. Das überrascht mich wirklich.«
Hans Olofson hat große Lust, Peter Motombwane zu schlagen, beherrscht sich aber.
»Was würdet ihr denn ohne uns anfangen«, sagt er. »Ohne die Weißen würde dieses Land doch
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