Das Auge des Leoparden
uneingeschränktes Vertrauen entgegenbringt.
Zwei Wochen später fährt Hans Olofson die beiden Mädchen nach Lusaka. Marjorie, die ältere, sitzt neben ihm auf dem Beifahrersitz, Peggy hinter ihm. Sie sind blendend schön, und angesichts ihrer Lebensfreude hat er auf einmal einen Kloß im Hals. Ich tue wenigstens etwas, denkt er. Ich sorge dafür, daß diese beiden jungen Menschen sich nicht sinnlos für allzu viele Geburten in allzu wenigen Jahren der Armut und der Entbehrungen aufsparen, für ein Leben, das unweigerlich mit einem frühen Tod endet.
Der Empfang bei Lars Håkansson ist beruhigend. Die Wohnung, die er den beiden Mädchen zur Verfügung stellt, ist frisch renoviert und gut ausgestattet. Marjorie bleibt verträumt vor dem Stromschalter stehen, der sie zum erstenmal in ihrem Leben mit Elektrizität versorgen wird.
Hans Olofson sieht ein, daß seine unklaren Befürchtungen unbegründet waren, und denkt, daß er seine eigene Angst auf andere überträgt. Den Abend verbringt er in Lars Håkanssons Haus. Vom Schlafzimmerfenster aus kann er die Schatten von Marjorie und Peggy sehen, die sich hinter dünnen Vorhängen bewegen, und er muß auf einmal wieder an den Tag denken, an dem er in der Provinzhauptstadt eintraf. Der erste Aufbruch, vielleicht die entscheidenste aller Reisen.
Am nächsten Tag unterzeichnet er eine Abtretungsurkunde für seine Anhöhe und gibt seine Kontonummer bei der englischen Bank an. Ehe er Lusaka verläßt, hält er spontan vor dem Büro von
Zambia Airways
in der Cairo Road und holt sich einen Flugplan für die europäischen Verbindungen der Fluglinie.
Die lange Rückfahrt nach Kalulushi wird von Wolkenbrüchen begleitet, die ihm die Sicht nehmen. Erst am späten Abend biegt er in die Auffahrt zu seiner Farm. Im Licht der Scheinwerfer kommt ihm der Nachtwächter entgegen. Einen Moment lang erkennt er den Mann nicht wieder, glaubt, er wäre ein Bandit in der Uniform des Nachtwächters, und denkt verzweifelt: meine Waffen. Aber als er näher kommt, erkennt Hans Olofson den Mann.
»Willkommen daheim,
bwana
«, begrüßt ihn der Nachtwächter.
Ich werde nie herausfinden, ob er das auch wirklich meint, denkt Hans Olofson. Seine Worte könnten auch bedeuten, daß er mich willkommen heißt, um die Chance zu bekommen, mir das Herz aus dem Körper zu schneiden.
»Ist alles ruhig gewesen?« fragt er.
»Es ist nichts vorgefallen,
bwana
«, antwortet der Nachtwächter.
Im Haus erwartet ihn Luka, der das Abendessen für ihn warm gehalten hat. Er schickt Luka nach Hause und setzt sich an den Eßtisch. Das Essen könnte vergiftet sein, denkt er unvermittelt. Ich werde tot aufgefunden, eine schlampige Obduktion wird durchgeführt, das Gift niemals entdeckt.
Er schiebt den Teller von sich, löscht das Licht und bleibt im Dunkeln sitzen. In den Hohlräumen des Dachstuhls hört man das Flügelschlagen von Fledermäusen. Eine Spinne läuft über seine Hand. Ihm wird klar, daß er seine Schmerzgrenze nun fast erreicht hat. Sie ist wie ein Schwindelanfall, ein aufziehender Wirbelsturm aus unartikulierten Gedanken und Gefühlen.
Lange bleibt er so in der Dunkelheit sitzen, bis er begreift, daß er kurz vor einem Malariaanfall steht. Seine Glieder schmerzen, der Schädel pocht, und das Fieber schießt in seinen Körper. Hastig errichtet er seine Barrikaden, zieht Schränke vor die Haustür, kontrolliert die Fenster und sucht sich eines der Schlafzimmer aus, um sich mit seiner Pistole hinzulegen. Er nimmt Chinin und dämmert langsam ein.
Im Traum jagt ein Leopard. Plötzlich sieht er, daß es Luka ist, der ein blutiges Leopardenfell trägt. Der Malariaanfall hetzt ihn in einen Abgrund.
Als er am anderen Morgen erwacht, spürt er, daß der Anfall trotz allem eher harmlos war. Er steigt aus dem Bett, zieht sich schnell an und öffnet Luka die Tür. Anschließend schiebt er einen Schrank zur Seite und bemerkt erst dabei, daß er noch den Revolver in der Hand hält. Die ganze Nacht hat er mit dem Finger am Abzug geschlafen. Ich verliere langsam die Kontrolle, denkt er. Überall sehe ich bedrohliche Schatten und unsichtbare
panga
, die über meiner Kehle schweben. Aufgrund meiner Herkunft bringe ich nicht die nötigen Voraussetzungen mit, um diese Angst nicht nur zu unterdrücken, sondern zu beherrschen. Meine Angst ist ein versklavtes Gefühl, das aufzubegehren lernt, um sich für immer zu befreien. Sobald ihr das gelingt, habe ich meine Schmerzgrenze erreicht. Dann hat Afrika mich doch noch, und
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