Das Auge des Leoparden
machen, denkt er. Ich kann nicht mit einer Mutter leben, die ein Mysterium ist. Entweder er lügt und verschweigt mir etwas, oder meine Mutter ist eine seltsame Frau.
»Wann kommst du nach Hause?« fragt Erik Olofson.
»Im Sommer. Vorher nicht. Vielleicht bist du bis dahin schon wieder Seemann.«
»Schon möglich. Vielleicht …«
Hans Olofson nimmt bis Uppsala den gleichen Zug. Den Elchbraten trägt er unter dem Arm. »Wer wildert denn?« fragt er.
»Niemand, den du kennst«, antwortet Erik Olofson.
Hans Olofson geht nach Hause, in das Haus der Uhren.
Ich muß durchhalten, denkt er. Im Grunde hindert mich nichts daran, Verteidiger der mildernden Umstände zu werden. Die Blockaden errichte ich mir selbst in meinem Innern.
Ich darf nicht aufgeben …
E R BETRACHTET die tote Schlange.
Was soll sie ihm sagen? Welche Botschaft überbringt sie? Die Zauberer deuten die Stimmen der Ahnen, die schwarzen Massen verharren in ängstlicher Unterwürfigkeit. Er denkt, daß er fortgehen, die Farm aufgeben und Afrika verlassen muß.
Auf einmal findet er es unfaßbar. Fast zwanzig afrikanische Jahre. Ein unwirkliches, unbegreifliches Leben. Was glaubte ich hier erreichen zu können? Der Aberglaube ist eine Realität, das vergesse ich immer wieder. Ich belüge mich andauernd selbst, weil ich vom Standpunkt eines Weißen ausgehe. Es ist mir nicht gelungen, mir das Denken der Schwarzen anzueignen. Fast zwanzig Jahre habe ich hier gelebt, ohne zu begreifen, auf welchem Grund ich stehe.
Ruth und Werner Masterton sind gestorben, weil sie sich weigerten zu verstehen.
Weil er das Gefühl hat, mit seinen Kräften am Ende zu sein, setzt er sich ins Auto und fährt nach Kitwe. Um endlich Schlaf zu finden, nimmt er sich ein Zimmer im Hotel Edinburgh, zieht die Vorhänge zu und legt sich nackt auf das Bett. Ein heftiges Gewitter zieht vorüber, die Blitze sind trotz der Vorhänge grell. Der Wolkenbruch schlägt wie Meeresbrandung gegen das Fenster.
Plötzlich sehnt er sich nach seiner Heimat und empfindet einen schwermütigen Hunger nach dem klaren Wasser des Flusses, den unerschütterlichen Wäldern. War es das, was die weiße Schlange ihm sagen wollte? Oder war sie eine letzte Warnung?
Ich bin vor meinem Leben davongelaufen, denkt er. Mein Ausgangspunkt, eine Kindheit im Geruch von Elchhunden, mag ärmlich gewesen sein, hat aber ganz und gar mir gehört, und das war eben auch eine Möglichkeit. Ich hätte weiter daran arbeiten können, mein Ziel zu erreichen und über die mildernden Umstände zu wachen.
Zufälle waren stärker als ich und haben zu meiner jetzigen Verwirrung beigetragen. Ich nahm Judith Fillingtons Angebot an, ohne wirklich zu begreifen, worauf ich mich einließ.
Jetzt, da ich nicht mehr ganz jung bin, fürchte ich, daß mein Leben zumindest teilweise gescheitert ist. Laufend will ich etwas anderes. Im Moment möchte ich zurückkehren und noch einmal von vorne anfangen, wenn das denn möglich wäre.
Rastlos zieht er sich wieder an und geht in die Hotelbar hinunter. Er nickt einigen bekannten Gesichtern zu und entdeckt in einer Ecke Peter Motombwane, der sich über eine Zeitung beugt. Hans Olofson setzt sich an seinen Tisch, ohne von den Vorfällen auf der Farm zu erzählen.
»Gibt es etwas Neues?« fragt er. »Neue Unruhen oder Plünderungen? Als ich nach Kitwe kam, schien alles ruhig zu sein.«
»Die Regierung hat eine Notreserve für Mais freigegeben«, antwortet Peter Motombwane. »Zucker wird aus Simbabwe geliefert, in Daressalam liegt kanadischer Weizen bereit. Die Politiker haben beschlossen, daß es keine Unruhen mehr geben wird. Viele Menschen sind inhaftiert worden, der Präsident verkriecht sich im State House. Es wird wieder Ruhe einkehren, leider. Eine Palette mit Maismehl reicht aus, um einen afrikanischen Aufruhr für unbestimmte Zeit aufzuschieben. Die Politiker können sich seelenruhig auf ihren Reichtümern ausruhen, und du brauchst deine Türen nicht mehr zu verbarrikadieren und kannst wieder ruhig schlafen.«
»Woher weißt du, daß ich mich verbarrikadiere?« fragt Hans Olofson.
»Selbst wenn ich kein Fünkchen Phantasie hätte, wüßte ich das«, erwidert Peter Motombwane.
»Werner und Ruth Masterton werden davon auch nicht mehr lebendig«, sagt Hans Olofson.
»Immerhin etwas«, antwortet Peter Motombwane.
Hans Olofson stutzt und wird wütend. »Wie meinst du das?« fragt er.
»Ich wollte dich in den nächsten Tagen sowieso besuchen«, erwidert Peter Motombwane teilnahmslos. »Ich
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